Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)
finden, zurück zu den Bergen seiner Jugend. Um Buße zu tun.«
»Er hat hier seine Buße getan«, wandte Shan ein.
»Der Heimweg hätte ihn durch Lhadrung geführt. Es gibt Busse, die einmal pro Woche Baiyun ansteuern. Er könnte dorthin gefahren und dann zu Fuß weitergegangen sein.«
Shan beugte sich neben ihr über die Karte. »Er konnte nicht riskieren, von der Polizei angehalten zu werden. Die ständigen Kolonnen und Patrouillen hätten ihn in die Hügel getrieben«, fügte er hinzu. Es war eine glaubhafte Erklärung für Jamyangs Ankunft auf den oberen Hängen. »Er war am Boden zerstört. Er wollte sich einfach nur irgendwo verkriechen und sich verstecken, um allmählich zu heilen und ein neues Leben anzufangen. Das Leben, das sein Onkel für ihn vorgesehen hatte. Er kann nicht gewusst haben, dass ein anderer Absolvent des Instituts zu einer Mission in dieses Tal geschickt wurde.«
»Natürlich nicht. Die Aufträge werden alle geheim gehalten, und die Agenten kennen einander nicht. Aber wir wissen nicht mit Sicherheit, dass ein anderer Agent hier gewesen ist.«
Sie wollte unbedingt die Augen davor verschließen. Shan sah sie einen Moment lang an und wies dann auf die Karte. »Und aus welcher Richtung ist Liang gekommen?«, fragte er.
»Wie bitte?«
»Bei einer Ermittlung werden immer die offensichtlichsten Dinge übersehen. Du musst herausfinden, wann Liang in eurer Gebietszentrale eingetroffen ist.«
»Natürlich unmittelbar nachdem die Morde gemeldet wurden.«
»Nein, Meng. Er ist gemeinsam mit den ersten Polizisten am Tatort aufgetaucht. Du und ich haben ihn gesehen. Er war bereits im Bezirk. Seine Rolle als großer Sonderbevollmächtigter ist nur eine Tarnung.«
»Blödsinn. Liang ist genau das brutale Schwein, als das er auftritt.«
»Prüfe es nach. Du wirst feststellen, dass er ein oder zwei Tage nach dem Abend eingetroffen ist, an dem Jamyang einen Computer in Baiyun benutzt hat, um auf die Datenbank des Instituts zuzugreifen. Das muss ungefähr eine Woche vor den Morden gewesen sein.«
Meng wurde sehr still.
»Er interessiert sich nur deswegen für die Morde, weil sein Agent damit zu tun hat und durch sie Ereignisse in Gang gesetzt wurden, die den Auftrag dieses Agenten gefährden könnten. Wegen dieser Gefahr ist Liang ins Tal geeilt, nicht wegen der Morde. Er will keinen Killer finden, sondern die Amerikanerin, und er hat es dabei auf mich und jeden anderen abgesehen, der der Mission in die Quere kommen könnte. Du hast es selbst gesagt. Diese Agenten bereiten sich manchmal über Jahre hinweg vor. Es wird unglaublich viel in einen solchen Agenten investiert. Jede Art von Störung muss unterbunden werden. Liang ist ein Agentenführer, ein Troubleshooter des Instituts. Er war bestimmt tatsächlich mal ein Sonderbevollmächtigter der Öffentlichen Sicherheit. Aber wie er selbst gesagt hat, wurde er befördert. Er wusste, wie er sich pro forma verhalten musste, als die Leichen gestohlen wurden. Es war sogar ein perfekter Vorwand für ihn, denn er musste auch dafür sorgen, dass niemand sonst gründliche Ermittlungen anstellen würde.
Du warst die einzige Beamtin, die sich wirklich für die Morde interessiert hat. Und er hat dir freie Hand gelassen. Er hat dich benutzt, denn er hätte nie geglaubt, dass du in der Lage wärst, die Wahrheit herauszufinden. Du wurdest ein Teil seiner Tarnung. Was er macht, ist das genaue Gegenteil einer Ermittlung. Er wusste von Anfang an, wer der Täter war. Er kannte die Beweise und hat sich daran gemacht, sie zu vernichten oder zu kaschieren. Liang hatte nie vor, das Projektil ballistisch untersuchen zu lassen, er wollte nur sicherstellen, dass niemand anders eine solche Untersuchung in Auftrag geben würde. Du solltest glauben, er suche die Amerikanerin als mögliche Zeugin, aber er wollte sie finden, um sie zu töten. Alles, was er seit seiner Ankunft getan hat, diente nur dem Zweck, den Killer zu schützen.«
Meng stolperte zurück, als hätte ihr jemand einen Fausthieb versetzt. Sie ließ sich auf einen flachen Felsen sinken. »Unmöglich«, sagte sie. »Ich hätte …«
»Es bemerkt? Es mitgeteilt bekommen? Es vermieden, ihm zu helfen? Das ist es, was er tut, Meng, was sie alle tun. Sie manipulieren Leute wie dich und mich. Vertuschen. Benutzen dich, um Lügen aufzubauen.«
Die Farbe wich allmählich aus Mengs Gesicht. »Ich glaube dir nicht, Shan. Du misstraust allem und jedem. Du misstraust dir selbst. Ich weiß, dass du schreckliche Erfahrungen
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