Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Titel: Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
Vom Netzwerk:
»Natürlich können Sie diese Leute heute zusammentreiben. Aber das wird bloß die Lunte entzünden. Es dauert Wochen, bis das Pulverfass explodiert und die Unvernunft der Aktion offensichtlich wird. Dann folgen weitere Wochen voller Besprechungen oder sogar geheimer Anhörungen. Ich habe früher die Texte solcher Anhörungen vorbereitet. Am Ende ist es immer der Fehler des Offiziers vor Ort. Der Leiter vor Ort hätte es stets besser wissen müssen.« Shan sprach leise und ruhig. »Sie werden eine politische Umschulung benötigen, Leutnant Meng, in einem dieser großen Institute im Osten. Dort leben Sie dann in einem Wohnheim, rezitieren jeden Tag stundenlang die Schriften der Partei, bringen weitere Stunden in Kritiksitzungen zu und müssen ständig damit rechnen, selbstzum Thema der nächsten Sitzung bestimmt zu werden. Man wird von Ihnen erwarten, dass Sie sich freiwillig zu einer dieser patriotischen Brigaden melden, die bei Paraden Fahnen schwenken. Manch einer findet das recht erfrischend. Als würde man einen ausgedehnten Urlaub mit dem Großen Steuermann verbringen.«
    Sie erwiderte seinen festen Blick mit regloser Miene und wandte sich dann ab, um abermals die Tibeter zu betrachten. Er war sich nicht sicher, ob er ihr wirklich Angst eingejagt oder nur ihre Neugier geweckt hatte.
    »Ich brauche mehr«, sagte sie schließlich. »Ich muss der Zentrale einen Grund liefern, damit die ihre Befehle ändern.«
    Shan zeigte in Richtung der Tibeter. »Auf dem Markt wird die Wahrheit gesprochen. Sie erledigen Ihren Auftrag, halten ständig die Ohren nach neuen Informationen offen. Sie haben ein Gerücht gehört. Die Leute wissen von der toten Frau.«
    »Was denn? Wer auch immer sie ist, sie war allein. Niemand hat sie vermisst gemeldet. Niemand hat sich nach ihrem Leichnam erkundigt.«
    Shan sah sie kurz an. »Wurde Ihnen das nicht mitgeteilt? Die Frau war eine Nonne.«
    Mengs Hand zerdrückte die Tüte Sonnenblumenkerne. Ihr Gesicht umwölkte sich.
    »Erklären Sie, dass das die gesamte Deutung des Tatorts ändert«, sagte Shan. »Die Flagge, die Stiefel auf der Frau, die Mütze über ihrem kurzen Haar – das alles war eine Pose für die Polizeifotografen, eine List des Täters, um den Verdacht auf einen Dissidenten zu lenken. Sie haben das durchschaut, weil kein Dissident eine Nonne töten würde.«
    Nach einem langen Moment stand sie auf und ging mehrere Schritte, bevor sie das kleine Funkgerät von ihrem Gürtel nahm. Der Transporter der Bewaffneten Volkspolizei, dernoch immer auf der Straße wartete, fuhr weg. Die Männer in Zivil zogen sich zu den grauen Fahrzeugen zurück.
    Die Offizierin wartete, bis alle abgerückt waren. Dann drehte sie sich wieder zu Shan um. »Gut. Ich habe getan, worum Sie gebeten haben. Das wird mich einige unerfreuliche Stunden in der Zentrale kosten.«
    Shan hörte ihren erwartungsvollen Tonfall und neigte den Kopf. »Ist dies eine Verhandlung, Leutnant?«
    »Aber selbstverständlich«, erwiderte sie schroff. »Norden. Süden. Westen. Fehlt nur noch Nummer vier. Ich habe die Gebetshörner gehört, die uns von hoch oben verspotten. In der Nacht nach den Morden ging das schon wieder los.«
    »Jetzt sind Sie es, die in Rätseln spricht.«
    »Sie werden mir von diesem Lama erzählen, der wie ein verfluchter Bandit in den Hügeln umherschleicht.«

KAPITEL VIER
    Als Shan nicht reagierte, drehte Meng sich um und zeigte die staubige Straße hinunter in Richtung des Stadtzentrums. Sie gingen schweigend los, vorbei an einer weiteren Tankstelle, vorbei an einem Postamt, das in einem Fertighaus untergebracht war, und dann in das kleine Gebäude, das Baiyuns größtes Lebensmittelgeschäft zu sein schien. Am Eingang saß einer der tibetischen Polizisten. Eine matronenhafte Verkäuferin am Tresen sah sie und floh nach hinten in einen Korridor.
    Meng führte Shan in ebendiesen Gang und weiter ins Warenlager. Eine Tür, die nach draußen führte, stand ein Stück offen. Die Verkäuferin war nicht nur vom Tresen, sondern gleich aus dem Gebäude geflohen. Meng öffnete die schwere Metalltür des Kühlraums und winkte Shan hinein.
    Das frischeste Fleisch lag ausgestreckt auf drei langen Tischen. Die gefrorenen Hühner hatte man im Hintergrund der Metallkammer einfach auf einen Haufen geworfen. Zwei der Tische standen an den Wänden, und der dritte nahm so viel Platz in der Mitte ein, dass Shan sich kaum durch die verbleibende Lücke zwängen konnte. Man hatte die Leichen mit Tüchern abgedeckt. Auf

Weitere Kostenlose Bücher