Der Tiger im Brunnen
fragte Sarah-Jane.
»Daniel Goldberg. Ich bin Journalist. Ich weiß, was Miss Lockhart zugestoßen ist, und ich glaube, dass ich ihr helfen kann. Aber dazu müsste ich sie persönlich sprechen.«
Ellie trat zur Seite. Sarah-Jane kam nicht näher an die Tür; beide waren Fremden gegenüber etwas ängstlich geworden.
»Ich kann Ihnen nicht sagen, wo sich Miss Lockhart aufhält, weil ich es selbst nicht weiß«, gab Sarah-Jane zur Auskunft. »Sie ist seit heute Morgen nicht nach Hause gekommen. Ich weiß auch nicht, wann sie zurückkommt. Selbst wenn ich es wüsste, glaube ich nicht, dass ich es Ihnen sagen sollte, aber wie gesagt, ich weiß es nicht.«
»Kann ich ihr eine Nachricht hinterlassen?«, fragte der Fremde.
»Das kann wohl nicht schaden«, sagte Sarah-Jane. »Sie werden doch nicht über sie schreiben wollen, oder? Das erscheint nicht in der Zeitung?«
»Noch nicht.« Er schrieb etwas in ein Notizbuch, riss das Blatt heraus, faltete es und schrieb Sallys Namen auf die Rückseite. »Sorgen Sie bitte dafür, dass sie das bekommt. Es ist wichtig. Guten Abend.«
Er lüftete den breitkrempigen Hut und ging. Ellie schloss die Tür hinter ihm.
Sarah-Jane betrachtete misstrauisch den Zettel mit der Notiz.
»Glaubst du, dass er die Wahrheit sagt?«, fragte Ellie.
»Ich weiß es nicht. Ich weiß überhaupt nichts mehr. Immerhin könnte ich den Zettel Mrs Molloy schicken … Aber wenn sie, wie der Polizist gesagt hat, dort auch nicht ist, dann wird sie ihn sowieso nicht bekommen.«
»Warten wir lieber«, schlug Ellie vor, »bis wir wieder von ihr hören.«
Sarah-Jane nickte. Sie legte den Zettel auf die Flurgarderobe und Ellie ging zurück in die Küche.
Der Geschäftsführer der Bank
Sally wachte mehrmals in der Nacht auf, denn Harriet schlief unruhig und das Bett war schmal. Einmal hatte die Kleine sogar aufgeschrien, doch Sallys Nähe und Wärme hatten sie sogleich wieder beruhigt.
Als sie das Gefühl hatte, es sei Zeit zum Aufstehen, stieg sie, noch müde und mit steifen Gliedern, aus dem Bett und zog ihren Morgenrock an. Sie ließ Harriet noch weiterschlafen, während sie Feuer machte und einen Kessel Wasser aufsetzte. Wie lange würden sie beide wohl so leben müssen, fragte sie sich. Alles war provisorisch. Sie mussten eine andere Unterkunft suchen; dann könnte sie Sarah-Jane nachkommen lassen und endlich ernsthaft nachforschen, was hinter der ganzen Geschichte steckte.
Sally machte Tee und ging dann ins Schlafzimmer, um Harriet zu wecken. In der kurzen Zeit hatte die Kleine das Bett nass gemacht. Sally stand eine Weile unschlüssig da. Was tat Sarah-Jane in solchen Fällen? Sie konnte sich nicht erinnern. Was sollte sie jetzt tun?
Sie zog die Decken zurück, damit diese nicht auch noch nass würden, und hob das Kind aus dem Bett. Harriet wehrte sich und wollte zurück ins Warme, doch Sally trug sie ins Empfangszimmer und setzte sie neben das Kaminfeuer, ehe sie das Bettlaken abnahm. Was als Nächstes? Sie musste Harriet waschen, aber konnte sie das Kind am offenen Feuer allein lassen, während sie eine Etage tiefer Wasser holen ging?
Nächstes Mal wäre sie klüger: erst Wasser holen, dann das Kind aufwecken. Und erst danach Tee machen, denn der würde kalt sein, ehe sie zum Trinken kam, und außerdem hätte sie das Wasser gleich dazu benutzen können, das Kind zu waschen.
»Bleib hier, Liebling«, sagte sie. »Mama holt nur schnell Wasser. Geh nicht ans Feuer …«
Sie nahm den Krug und eilte hinunter ins Badezimmer. Es war besetzt. Wieder stand sie unschlüssig da. Dann ging plötzlich eine Tür neben dem Badezimmer auf und ein Herr in Mantel und Hut kam heraus. Verblüfft starrte er Sally an, die im Morgenrock dastand, wendete sich dann ab und ging die Treppe hinunter. Sally lief vor Scham rot an. Dann wurde die Badezimmertür geöffnet, und wieder kam ein Mann heraus, auch er vollständig angekleidet. Er schaute ebenso verwundert wie der erste, machte eine Miene, als wolle er etwas sagen, beließ es dann aber bei einem Stirnrunzeln und entfernte sich.
Sally biss die Zähne zusammen und ging rasch ins Badezimmer, füllte den Krug mit heißem Wasser aus dem Boiler und eilte dann zu Harriet hinauf. Wieder oben angekommen, schloss sie die Tür hinter sich.
»Komm, Hattie, jetzt wollen wir dich erst einmal waschen«, sagte sie, während sie warmes Wasser in die Schüssel goss.
»Nein, nein«, protestierte Harriet, die immer noch nicht richtig wach war, stampfte mit dem Füßchen
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