Der Tiger im Brunnen
schwedischen Akademie der Wissenschaften, dessen Vorträge über eine gesunde Lebensführung er im vorangegangenen Frühjahr gehört hatte.
In Cornhill schaute er erst in eine Zeitung und suchte dann nach dem Haus mit der Nummer 14. Es war ein Bürogebäude mit einem diskreten Messingschild, auf dem Arthur C. Montagu, Detektei zu lesen stand. Kaum gefunden, trat er sogleich ein.
In London gab es damals eine ganze Reihe von Detektivbüros. Montagu war das größte: eine expandierende, dynamische Firma mit zwanzig Jahren Erfahrung, einer gut ausgebildeten Mannschaft und alles mit hundertprozentiger Diskretion. Wer wissen wollte, mit wem sein Ehepartner durchgebrannt war oder warum der leitende Angestellte seiner Firma gerade in Zeiten, in denen Ebbe in der Kasse herrschte, auf großem Fuß lebte, der konnte sich an Arthur C. Montagu und seine professionelle Truppe wenden. Mit ihrer zwanzigjährigen Branchenerfahrung würde die Firma die gewünschten Informationen beibringen und dann die Rechnung schicken. Montagu inserierte diskret in der Times und dort war Mr Parrish auch erstmals auf den Namen gestoßen.
Wenig später saß er in einem blitzblanken Büro, das mit allen Errungenschaften der Technik wie Sprachrohren, luftdruckbetriebener Rohrpost und Schreibmaschinen ausgestattet war. Ein eifriger junger Angestellter nahm den Auftrag entgegen und hielt die wichtigsten Angaben fest.
»Ehefrau – Beschreibung? Ah! Eine Fotografie. Hervorragend. Und die Tochter – Alter? Name? Ein Bild? Nein? Schade. Seit wann verschwunden? Seit gestern. Tritt unter dem Namen Lockhart auf, von Garland & Lockhart, künstlerische Fotografen, Twickenham. Hinweise, dass sie ins Ausland gegangen sein könnte? Wir stehen in telegrafischer Verbindung mit Büros in Paris und Berlin, Mr Parrish, und die neue Telefonleitung wird in der kommenden Woche installiert. Nein? Hält sich vermutlich immer noch in London auf. Namen von Geschäftsfreunden, Bekannten … Taylor … Garland … Bertram: Ehrenwerter Charles Bertram, ein Herr von Adel – wer ist das? Partner von Garland, zurzeit in Südamerika – aber sie ist ihm aller Wahrscheinlichkeit nach nicht hinterhergereist? Büro in der Innenstadt, Finanzberatung – schau an, eine unternehmungslustige Dame, Ihre Gattin. Ja, gewiss. Sie hätte es lieber lassen sollen. Schickt sich nicht für das weibliche Geschlecht. Aber das ist die heutige Zeit. Frauenemanzipation! Sehr schön, Mr Parrish. Wir werden sofort mit den Ermittlungen beginnen. Sie verstehen – versprechen können wir nichts – London ist eine Riesenstadt – aber Arthur C. Montagu ist eine erstklassige Firma. Das Spitzenunternehmen in der Branche! Arnold! Würden Sie bitte diese Beschreibung sofort in Umlauf geben. Und rufen Sie Mr Billings herein.«
Mr Billings war der Detektiv, der die eigentlichen Ermittlungen durchführen sollte. Sein Äußeres verriet einen zielstrebigen Charakter und einen Spürsinn, wie man ihn von einem Vertreter seiner Branche erwarten durfte.
Mr Parrish machte eine Anzahlung zur Deckung von Mr Billings’ Spesen und ging, nachdem er sich Arthur C. Mantagus Preisliste in die Tasche gesteckt hatte, seiner Wege. Er hatte sich noch einen anderen Besuch vorgenommen und folgte damit einem Rat, den er einmal von dem berühmten Mittelgewichtschampion Jack Draper gehört hatte: Wenn der Gegner in den Seilen hängt, schlag noch mal mit aller Kraft zu.
Mr Billings war ein methodischer Mann, ja er war sogar noch methodischer als Mr Parrish, obgleich er noch nichts von den wissenschaftlichen Grundsätzen im Geschäftsleben gehört hatte, denen Mr Parrish seinen Erfolg verdankte.
Kaum hatte er den Auftrag erhalten, begab er sich zum Bengal Court, einem kleinen Platz in der Nachbarschaft von vier Kirchen. Hier drang kein Sonnenstrahl hinein; alles kündete von kalter, staubtrockener Pflicht zur Geldmacherei. Nummer drei war ebenso düster und streng wie die anderen Gebäude. Mr Billings war seiner Visage und seinem Metier zum Trotz ein durchaus fröhlicher Mensch, daher blickte er sich mit einiger Abscheu um. Kein Ort für eine Frau, dachte er beim Betreten von Haus Nummer drei.
Der Portier, der hinter einem Schiebefenster Dienst tat, schickte ihn in den dritten Stock. Oben angekommen, fand er die Atmosphäre lockerer und den Anblick viel freundlicher, weil eine leuchtend grüne Pflanze auf dem Fensterbrett stand und durch das Fenster ein schöner Kirchturm mit einer merkwürdigen kleinen Kuppel zu sehen war
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