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Der Tiger im Brunnen

Der Tiger im Brunnen

Titel: Der Tiger im Brunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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möglichen Dienste verrichteten: eine Besorgung erledigen, eine Nachricht oder ein Paket überbringen, ein Rundschreiben verteilen, Geld oder Wechsel einziehen, nachts ein leeres Gebäude bewachen und dergleichen mehr. Für die Dienstleistungen galt ein fester Tarif, der auf dem Laufzettel, den Mr Billings hatte sehen wollen, aufgedruckt war.
    Dort stand auch die Personalnummer des Boten, um sich ausweisen zu können. Mr Billings hatte sich die Nummer dieses Musters seiner Gattung notiert und hoffte nun, Miss Haddow zuvorzukommen.
    Die Droschke kam mit schleudernden Rädern, quietschender Bremse und einem Peitschenknall des Kutschers vor der Zentrale zum Stehen. Mr Billings sprang hinaus und warf dem Mann eine Münze zu. »Warten Sie hier!«, rief er und stürzte zum Eingang des Gebäudes.
    An der Rezeption stand der Dienst habende Sergeant, akkurat bis in die gewichsten Schnurrbartspitzen. Mr Billings hielt sich nicht lange mit Floskeln auf.
    »Bote Nummer 318«, sagte er. »Ein Korporal. Können Sie herausfinden, wo er sich zurzeit befindet?«
    »Worum geht es, Sir?«
    »Eine dringende polizeiliche Angelegenheit. Wir brauchen ihn als Zeugen in einem Mordprozess – oh, Entschuldigung, meine Karte. Anwaltskanzlei. Offenbar kann Nummer 318 für das Alibi unseres Klienten bürgen. Seine Aussage könnte den Ausschlag geben, ob der Angeklagte freigesprochen wird oder ob er unschuldig an den Galgen kommt. Wo ist der Mann, schnell!«
    Wie wohl jeder andere auch, war der Sergeant von der Vorstellung eines Galgens sogleich mächtig beeindruckt. Er wandte sich einem großen Terminkalender zu, befeuchtete sich den Zeigefinger, um besser blättern zu können, und suchte fieberhaft.
    »Da – Nummer 318. Korporal Lewis«, rief er. »Nachricht an eine Adresse in der Stadtmitte zu überbringen. Bengal Court. Im Auftrag von einer Miss Lockhart, Wellcome Passage 5, Bloomsbury. Auftrag erhalten um …«
    »Ich finde ihn schon«, sagte Mr Billings und stürzte davon, während der Sergeant seinen Finger immer noch auf die Stelle im Terminkalender hielt.
     
    Margaret Haddow zerknüllte Sallys Brief und fluchte. Den Ausdruck hatte sie einmal von einem Droschkenkutscher gehört und sie fand ihn jetzt sehr passend.
    Man hatte sie überrumpelt. Dieser Bluthund mit der Melone auf dem Kopf dürfte Sallys Adresse in Kürze herausfinden, wenn er sie nicht schon hatte, und was dann? Sie musste in jedem Fall vor ihm dort sein. Und dabei hatte sie in zwanzig Minuten einen Termin: ein Klient, den sie schon einmal versetzt hatte, wollte zu ihr ins Büro kommen. Sie konnte es sich nicht leisten, ihn zu verlieren, aber genauso wenig durfte sie Sally im Stich lassen.
    Sie warf einen Blick in den Raum nebenan, wo Cicely Corrigan gerade die Post ablegte.
    »Ich muss noch einmal weg«, sagte sie. »Ein dringender Fall. Hör genau zu – Mr Patten kommt in etwa zwanzig Minuten. Sag ihm, es tue uns wirklich leid, aber sein Termin müsse verschoben werden. Ich bedauere, dass du das ausbaden musst, aber – «
    »Ich glaube, da kommt er schon«, sagte Cicely.
    Sie horchten. Draußen waren Stimmen zu hören. Entnervt schloss Margaret die Augen und dachte angestrengt nach.
    »Dann musst du das übernehmen«, sagte sie. »Aber es ist wirklich sehr wichtig. Hol dir Hut und Mantel und fahr mit einer Droschke zur Wellcome Passage in Bloomsbury – hast du verstanden? Miss Lockhart wohnt in Nummer fünf. Lass den Kutscher warten und sag Miss Lockhart, sie soll, ja wohin soll sie gehen … ins Britische Museum, das ist nicht weit. Wir treffen uns im Assyrischen Saal. Sie darf auf keinen Fall an der angegebenen Adresse bleiben. Ich werde so rasch wie möglich hinkommen. Ach ja, Geld für die Droschke. Hier. Benutze es auch, um wieder hierher zurückzukommen. Aber jetzt rasch – es ist wirklich schrecklich wichtig.«
    Verwirrt, aber zu allem bereit, griff Cicely zu ihrem abgewetzten Mantel und dem Hut vom vorigen Jahr und steckte das Geld ein, während Margaret zur Tür ging, um zu öffnen.
    Während Cicely nach unten eilte, wandte sich Margaret dem Besuch zu und stellte etwas verblüfft fest, dass außer Mr Patten noch jemand gekommen war. Dieser Jemand war die Folge einer taktischen Überlegung, die Mr Parrish in Erinnerung an den gefeierten Champion Jack Draper angestellt hatte. Doch was das bedeutete, sollte Margaret erst ein paar Minuten später erfahren.
     
    Mr Parrish war gerade mit Transaktionen im Auftrag einer Missionsgesellschaft beschäftigt, als Mr

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