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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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Rothfuss?
    Er wandte sich um und erkannte einen schwarzen Militärpolizisten.
    – Was gibt es?
    – Dienstlich, Sir. Können Sie mich zum Wagen begleiten?
    Selma nickte ihm zu, wenngleich schmerzvoll. Rothfuss angelte sich seine Lederjacke vom Stuhl und folgte dem Polizisten.
    – Für Sie, Sir.
    Der Schwarze reichte ihm den Hörer eines Funktelefons.
    – Sergeant Rothfuss?
    – Ja.
    – Dienstanweisung von Ihrem Führungsoffizier, Sie sind nach München beordert.
    – Wann?
    – Unverzüglich. Mit kleinem Gepäck. Eine Maschine erwartet Sie in Tempelhof.
    Bevor Rothfuss in den Wagen stieg, nahm er Selma in den Arm und küsste sie.
    – Das wäre unser Abend gewesen!
    Selma nickte und wischte Tränen aus den Augenwinkeln. Sie winkte ihm zu, als der Wagen anfuhr.
     
35.
    Ich erwachte morgens früh um sechs Uhr. Fast achtzehn Stunden hatte ich geschlafen. Ich duschte und frühstückte und fühlte mich danach körperlich wohlauf wie selten zuvor, aber meine Gedanken waren in einen weich gepolsterten Behälter gebettet, eine Schutzhülle,die mich gegen äußere Einwirkungen abdämmte. Die Dramatik der letzten Zeit hatte durch meine lebhaften Träume ihre Kraft verloren, und ich musste mir erneut vergegenwärtigen, was alles geschehen war. In dieser Verfassung konnte ich meinem weiteren Vorgehen eine klare Struktur geben, auf eine Weise, die mir vertraut war und mir half, die aufkommenden Ängste im Griff zu behalten. In der Physik war das Gedankenexperiment ein gängiges Mittel. Man beschrieb detailliert den Weg, den man gehen wollte. Natürlich war der reale Vorgang nur simuliert, aber seine gedankliche Fixierung erlaubte es, das vorhandene Wissen auf eine bestimmte Problemstellung hin zuzuspitzen.
    Mein ursprünglicher Plan, mich nach dem Symposion den Behörden zu stellen und mich so endgültig dem Zugriff der beiden Geheimdienste zu entziehen, durfte in der neuen Situation, in der ich durch Ella und das Kind stand, nur eine Rückfalllinie bilden. Mein Ziel war, das Bestmögliche aus meiner Position und meiner wissenschaftlichen Arbeit herauszuschlagen, um für beide sorgen zu können. Ich musste verhandeln. Malikow war der Gefährlichere, er stand an erster Stelle. Ich würde ihm meine wissenschaftliche Arbeit anbieten. Als Gegenleistung erwartete ich die Auflösung aller Verpflichtungen, weiterhin, dass man mir eine neue Identität verschaffte und ausreichend Geld bereitstellte, eine Möglichkeit, die ich nutzen konnte, wenn es mir nicht gelang, mein bisheriges Leben weiterzuführen. Mit Salantino musste ich ebenfalls verhandeln. Salantino erhielt ein Stück meiner Arbeit und verzichtete auf alle weiteren Forderungen an mich.
    Ich versuchte, alle Wendungen genau zu durchdenken. Wie sich die Ereignisse entwickeln würden, blieb unklar, aber am Ende, so folgerte ich, gab es drei Fortsetzungen meiner Geschichte: Ich führte mein Leben wie bisher, ich verschwand von der Bildfläche und begann eine neue Existenz, oder ich stellte mich. Mir war klar, dass auch Ella bald eingeweiht werden musste, allerdings erst dann, wennabsehbar war, dass ich durch die von mir angestoßenen Entwicklungen nicht unter die Räder kommen würde.
    Draußen war es kalt und feucht, Schneegrieß rieselte gegen das Fenster. Ich zog meinen Mantel an und ging zu der Telefonzelle am Englischen Garten, um Helmut anzurufen.
     
36.
    Den Nachmittag verbrachte ich mit Ella. Sie wusste, dass ich an einer größeren Arbeit saß, und überließ mir die Initiative, etwas zusammen zu unternehmen. Wir machten einen Spaziergang und gingen anschließend ins Kino.
    – Schlag dir nicht wieder die Nacht um die Ohren, sagte sie zum Abschied.
    Das hatte ich nicht vor. Ich wartete auf die Nachricht, wann ich Malikow treffen konnte. Zu Hause holte ich die Noten hervor, die ich zu Papier gebracht hatte. Mit meiner Geige spielte ich sie zunächst so, wie ich sie innerlich hörte. Es überraschte mich diesmal nicht, dass sich ein Effekt einstellte, auf den ich durch Kaltenbrunner aufmerksam geworden war. Das Stück klang hässlich, schroff, es wirkte verunstaltet. Diese Entstellung brachte mich ins Grübeln. Mathematisch ausgedrückte Zusammenhänge erschienen mir fast immer schön, allenfalls waren sie banal. In der Kreiszahl Pi mit ihren unendlich vielen Nachkommastellen verkörperte sich beispielsweise eine von allen Teilungen und Durchgliederungen befreite Melodie, die in die Ewigkeit hineingesponnen wurde. Wie Sandkörner rieselten Töne durch die Engstelle

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