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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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auf. Ich hatte das lächelnde Gesicht von Baron Ignaz vor mir, der mich in die Wange kniff.
    – Nicht einschlafen, sagte er.
    Der Pfarrer hielt jetzt eine Ansprache, in der er sich bemühte, für Eulmann verständnisvolle Worte zu finden, der, wie alle wussten, kirchlich nicht gebunden war. Dann aber vergaloppierte er sich in Beispielen. Er führte einen großen Denker an, dessen Name ich noch nie gehört hatte, konnte aber nicht umhin zu erwähnen, dass dieser geistvolle Mensch eine andere Entwicklung genommen hätte, wäre er nicht von Rabbinern aufgezogen worden. Ein Jude also! Ich horchte auf und dachte an das Siegel Salomons, das Bründl erwähnt hatte.
    Das Schlimme war, dass ich an jedem Gedanken, den ich fasste, kleben blieb.
    Danach hoben die Träger den Sarg an und schritten langsam die Treppen vom Altar hinunter. Eine Weile stand der Sarg schräg. Am hinteren Ende begann ein Spalt zu klaffen, der immer größer wurde, und der Deckel glitt langsam, dann immer schneller herunter und krachte mit großem Getöse auf den Boden. Erschrocken setzten die Träger den Sarg auf den Boden, sodass man gut hineinsehen konnte. Eulmanns Leiche lag auf dem Gesicht, das Innere des Sargs war zerwühlt, jemand hatte die Totenruhe gestört und die Leiche geschändet.
    Zwei Frauen kreischten auf, eine weitere fiel ohnmächtig um, dann kehrte lähmende Stille ein.
     
15.
    Ella Senoners Lieblingsplatz war die Bank vor der Almhütte. Sie verrührte den Zucker, von dem sie stets reichlich nahm, in ihrer bauchigen Kaffeetasse. Auf einem geblümten Teller lagen einige Stücke Hefezopf, die sie mit Butter und Marmelade bestrichen hatte. Vormittags war Georg mit dem Handkarren gekommen, hatte ihr einiges gebracht, was sie hier oben gerne hatte oder dringlich brauchte.Anschließend luden sie zusammen einen Teil der Käselaibe auf den Karren, und Georg machte sich wieder auf den Weg nach unten. Er kam zweimal die Woche, wenn Not am Mann war, blieb er auch den Tag über, aber Irmi, ihre Schwägerin, unten im Rettachhof brauchte ihn doch nötiger als sie. Ella kam gut zurecht, das Alleinsein machte ihr nichts mehr aus. Außerdem war es auf die warmen Monate begrenzt. In der kalten Jahreszeit lebte sie unten und redete genug. Sommers hatte die Arbeit Vorrang. Auf der Alm war die Natur freundlich, und das genügte.
    Ella schob einige Haarsträhnen unter das Kopftuch zurück und nahm einen Schluck von dem heißen Kaffee. Gleich unterhalb des aufgeschütteten Vorplatzes, auf dem sie saß, fiel das Gelände ab, und eine Wiesenmatte, auf der das Vieh weidete, erstreckte sich bis zu den Bäumen hinunter. Man ging lange Zeit durch den Wald, wenn man zu ihr hinauf auf die Rettachalm wollte. Sie hatte von ihrer Bank aus einen unverstellten Blick bis ins Tal hinunter, wo sich die Autostraße neben der wasserreichen Brig schlängelte, er reichte sogar bis ans Ende, wo sich das Tal zu einem scharfen Einschnitt verengte, weil der Zoller aufragte, und die Straße in Serpentinen den gleichnamigen Pass hochführte. Was sie jedoch nicht sah, war der Rettachhof, der von ihr aus etwa zwei Stunden zu Fuß entfernt lag. Er lag hinter den Bäumen und wurde von einem weit vorspringenden Buckel verdeckt.
    Auf die Frage, wozu sie das alles machte, hatte sie früher immer geantwortet, dass sie es für ihren Sohn Tino tat, damit dieser einen gut bestellten Hof übernehmen konnte. Inzwischen hatte er sich längst andernorts eine eigene Existenz aufgebaut, war vierzig geworden, und damit war es fast ausgeschlossen, dass Tino je zurück kehren würde. Einer alten Frau wie ihr blieb deshalb nur das Eingeständnis, dass sie die Arbeit für sich tat, weil sie sich nichts anderes mehr vorstellen konnte, als Bäuerin zu sein.
    Ella schloss die Augen. Die Begegnung mit Georg hatte sie angestrengt.Im Mai, wenn sie frisch von unten auf die Alm heraufkam, kreisten und wogten die Gedanken in ihrem Kopf. In das Leben mit anderen eingebunden, schienen sie ihr weit verzweigt, reich und vielfältig. Hier oben stellte sie nach einigen Tagen der Einsamkeit fest, dass sie immer wieder dasselbe dachte. Tino erschien in ihren Vorstellungen. Sie brachte eine Reihe von Gründen vor, warum es gut für ihn war, doch noch den Hof zu übernehmen. Sie hatte wie immer in Selbstgesprächen mit allem recht, was sie ansprach, aber er antwortete nicht. So brachte sie nach einiger Zeit dasselbe noch einmal vor. Ihre stichhaltigsten Begründungen waren wie in eine Gebetsmühle verkapselt, die sie

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