Der Tod des Bunny Munro
namens Cynthia zu dem Jungen, bevor sie ihre langen Zähne samt Zahnspange entblößt und wie eine Mondsonde oder ein Neunauge hungrig in seinen Hals schlägt.
Bunny geht den Gang entlang zu seiner Tür und kramt dabei in seiner Tasche nach dem Schlüssel. Die Wohnungstür ist genauso kanariengelb wie Bunnys Hemd, und einen Augenblick lang sieht Bunny Libby vor sich, wie sie zehn Jahre zuvor in Levis und blauen Marigolds mit dem Pinsel in der Hand vor der Tür hockte, zu ihm hochlächelte und sich mit dem Handrücken eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich.
Als er die Tür öffnet, ist es in der Wohnung dunkel, und irgendwas kommt ihm komisch vor; er geht rein, lässt den Musterkoffer fallen und will sein Jackett an einen Metallhaken hängen, aber der ist nicht mehr da. Abgebrochen. Das Jackett sackt als schwarzes Häufchen auf dem Boden zusammen. Er drückt den Schalter an der Wand, nichts passiert, und er merkt, dass die Glühbirne an der Decke aus der Fassung geschraubt wurde. Bunny schließt die Eingangstür. Er geht einen Schritt vor, und als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, blickt er verwirrt auf ein heilloses Durcheinander. In einer Stehlampe, deren quastengeschmückter Schirm merkwürdig schief sitzt, brennt eine einzelne Glühbirne, und im fahlen Schummerlicht sieht Bunny, dass die Möbel verrückt wurden, sein Sessel zum Beispiel steht jetzt zur Wand gekehrt wie ein ungezogener Schuljunge und trägt ein Joch aus hingeworfenen Kleidungsstücken, die furnierte Kommode steht hochkant, und ihre Füße sind abgebrochen bis auf einen, an dem wie ein trauriges Fähnchen eine von Bunnys Unterhosen hängt.
»Ach du Scheiße«, sagt Bunny.
Auf dem Couchtisch stehen etwa ein Dutzend ungeöffnete Zweiliterflaschen Cola und ein Stapel Pizzakartons. In Zeitlupe kapiert Bunny, dass es hauptsächlich seine Klamotten sind, die überall herumliegen. In der Luft hängt ein widerlicher, saurer Geruch, den Bunny irgendwie kennt, er weiß aber nicht, woher.
»Hi, Dad«, hört er ein zartes Stimmchen, und ein neunjähriger Junge, barfuß und in blauen Shorts, taucht plötzlich aus der körnigen Dunkelheit auf.
»Scheiße, Bunny Boy! Hast du mich vielleicht erschreckt!«, sagt sein Vater und dreht sich hin und her. »Was ist denn hier passiert?«
»Weiß ich nicht, Dad.«
»Was soll das heißen ›Weiß ich nicht‹? Du wohnst hier, verdammt nochmal, oder etwa nicht? Wo ist deine Mutter?«
»Die hat sich in ihrem Zimmer eingeschlossen«, antwortet Bunny Junior, reibt sich die Stirn und kratzt sich hinten am Bein. »Sie kommt nicht raus, Dad.«
Bunny blickt sich um, und ihm schießen zwei schreckliche Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. Dass der Zustand der Wohnung irgendwas mit ihm zu tun hat, eine Botschaft ist – Bunny sieht jetzt, dass einige seiner Sachen zerschlitzt oder zerrissen sind –, und dass er selbst irgendwie dafür verantwortlich ist. Irgendwo da draußen an den Grenzen seiner Psyche streckt ein unbestimmtes Schuldgefühl den Kopf über den Zaun und duckt sich dann wieder. Aber an die Stelle dieses Unbehagens tritt eine zweite, dringlichere Erkenntnis, die ihm gründlich die Laune verdirbt – dass er sich eine Nummer mit seiner Frau ziemlich sicher abschminken kann. Bunny ist stinksauer.
»Was soll das heißen, ›Sie kommt nicht raus‹!«, sagt er, marschiert durch das Wohnzimmer und den Flur und brüllt: »Libby! Lib!«
Im Flur wurde eine Packung Coco Pops gleichmäßig und offenbar absichtlich auf dem neu verlegten Teppichboden verteilt, und Bunny spürt, wie die Coco Pops unter seinen Füßen zerplatzen. Er brüllt lauter, aufgebracht: »Libby! Verdammte Scheiße!«
Bunny Junior folgt seinem Vater durch den Flur. »Hier liegen überall Coco Pops, Dad«, sagt er und zerstampft ein paar mit seinen nackten Füßen.
»Lass das«, zischt Bunny. Er rüttelt kräftig an der Türklinke und schreit: »Libby! Mach die Tür auf!«
Seine Frau antwortet nicht. Bunny drückt das Ohr an die Tür; aus dem Zimmer dringen eigenartige Piepsstimmen.
»Libby?«, sagt er leise. Das komische Gequäke kommt Bunny irgendwie bekannt vor, er legt den Kopf in den Nacken und entdeckt an der leeren Lampenfassung im Flur lange Fäden von Sprayluftschlangen, die wie die neonblauen Eingeweide von einem Alien oder weiß der Teufel was aussehen. Ungläubig zeigt er mit dem Finger darauf, stammelt »Wa-wa-was?« und geht nach einer Weile in Zeitlupe in die Knie.
»Ach so, das war ich«, sagt Bunny Junior
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