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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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geht, aber er hat keine Chance, weil der Mann die ganze Zeit die Hand vor den Mund hält. Dann fällt ihm ein anderer Mann auf, der allein vor einem Teller Pommes frites sitzt. Er hat dickes, weißes Haar, trägt ein schwarzes Hemd und eine Halskette mit einem silbernen Sternzeichen-Anhänger und sieht den Jungen unverwandt an. Er stippt ein Pommesstäbchen in die Mayonnaise, steckt es in den Mund und lächelt ihm freundlich zu.
    »Alle Spinner spült es hier unten an«, sagt Bunny zu dem Typen hinter dem Tresen, aber der hat sich weggedreht und bedient jetzt einen anderen Gast, und Bunny wendet seine Aufmerksamkeit seinem Sohn zu.
    »In diesem Geschäft triffst du alle möglichen Verrückten, Bunny Boy. Das liegt in der Natur der Sache. Mit der Zeit weiß man, wie sie ticken«, sagt er.
    Der Mann mit dem schwarzen Hemd und dem Anhänger legt ein paar Münzen auf ein Blechtellerchen. Er winkt Bunny Junior heimlich zu, dann leckt er sich das Salz von den Fingerspitzen, nimmt seine Jacke, dreht sich um und geht.
    »Man muss sich halt durchschlagen. Das ist eine Frage des Instinkts«, sagt Bunny. »Behalte immer ein wachsames Auge. Du passt mal zwei Sekunden nicht auf, und zack, schon hauen sie dich in die Pfanne. Aber das lernst du mit der Zeit, Bunny Boy …«
    In der Menge der Mittagsgäste sieht Bunny Junior flüchtig eine blonde Frau in einem orangefarbenen Kleid, die auf der anderen Seite des Cafés in der Schlange am Sandwich-Tresen steht. Sie schaut zur anderen Seite, die Haare verbergen ihr Gesicht, und manchmal sieht er sie und manchmal nicht.
    »Nimm dich immer in Acht«, sagt Bunny.
    »Vor dem Verrückten«, erwidert Bunny Junior zerstreut.
    »Genau, Bunny Boy. Immer ein Auge auf den Spinner.«
    Bunny Junior steht auf, bückt sich, schwenkt den Oberkörper hin und her und versucht, einen Blick auf diese Frau zu erhaschen, die gut seine Mutter sein könnte, aber er sieht sie nicht mehr, und sein Dad sagt: »Einmal hatte ich geschäftlich in Hastings zu tun, und da war ein kleines Mädchen, das hatte Flossen statt Hände, und ihre Zunge war so lang, dass sie sie am Kragen ihrer Jacke festgesteckt trug.«
    Bunny Junior klettert wieder auf seinen Barhocker und sitzt reglos da, die Hände im Schoß gefaltet. Er ist weiß wie die Wand, und als Bunny seinen Sohn ansieht, bemerkt er seinen gequälten Gesichtsausdruck.
    »Das kannst du laut sagen, Bunny Boy! Mir läuft es kalt den Rücken runter, wenn ich nur daran denke!«
    Bunny zieht sein Portemonnaie aus der Tasche, und der Mann hinter dem Tresen, mit seiner geölten Birne und seinem Erotik-Outfit, nimmt das Geld und sagt: »Bist du noch lange in der Stadt?«
    Bunny wirft ihm einen verächtlichen Blick zu und verlässt schnurstracks das Café, dicht gefolgt von Bunny Junior. Draußen bleibt er stehen und streckt empört die Hände aus. »Sag mal, seh ich etwa aus, als hätte ich eine Manngina? Seh ich aus, als hätte ich eine Motze?«
    »Hmmm«, sagt Bunny Junior.
    »Ganz ehrlich. Findest du, ich seh aus wie eine verdammte Tucke!«
    Bunny Junior, der merkt, dass er seine Pastete liegen gelassen hat, blickt die Straße auf und ab und vergisst zu antworten, denn er glaubt, ein orangefarbenes Stoffdreieck um die Ecke huschen zu sehen.

20
    Bunny steht vor einer Erdgeschosswohnung in der Charles Street in Kemp Town und fragt sich, was er da überhaupt tut. Er dreht sich zum Punto um und sieht das Gesicht seines Sohnes hinter der Scheibe – der Junge ringt sich ein ausweichendes Lächeln ab –, und er fragt sich, was er tut. An der Haustür angelangt, drückt er auf die Klingel, und auf der anderen Seite der Milchglasscheibe – ein Puderzuckersonnenuntergang mit Palmen – wackelt schimärenhaft eine dunkle Gestalt heran, dann rasseln mehrere Schlösser und Ketten, und Bunny fragt sich, was er da tut. Er liest den Namen auf der Kundenliste, Mrs. Candice Brooks, und spürt ein vorfreudiges Kribbeln im Lendenbereich, das ihm sein Ziel wieder klar vor Augen führt. Aber als die Tür aufgeht, steht da eine kleine, gebückte und unglaublich alte Dame mit einer dunklen Brille und fragt mit unerwartet jugendlicher Stimme: »Kann ich Ihnen helfen?« Bunny seufzt und fragt sich, was er da tut. Dann fällt es ihm ein – er ist hier, um Kosmetik zu verticken. Er schließt die Augen, fasst sich wieder und wird annäherungsweise ein charmanter Verkäufer, der alles im Griff hat. Das klingt einfacher, als es ist, denn ihn beschleicht das ungute Gefühl, dass eine Art Wahnsinn

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