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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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schütteres, schwarzes Haar.
    »Keine Schule?«, fragt der Mann lächelnd und spielt an dem kleinen aufgestickten Polospieler vorn auf seinem Hemd herum. Der Mann hat so klare, blaue Augen und so gerade, weiße Zähne, dass Bunny Junior blinzeln muss, als er ihn ansieht.
    »Du schwänzt wohl heute?«, fragt der Mann – aber es ist eigentlich keine Frage, eher die Benennung einer verwerflichen und teuflischen Tat.
    Die Ampel wird grün, und ohne sich noch einmal umzudrehen, stürmt Bunny Junior über die Straße und flüstert ununterbrochen: »Scheiße«, denn er hat jetzt kein Loch mehr im Bauch, sondern die Hosen voll. Bis ins Mark spürt er die schreckliche Gewissheit, dass er den sicheren Punto niemals hätte verlassen dürfen.
    Bunny Junior stellt sich an der kleinen Schlange vor der Fish-and-Chips-Bude an und hüpft von einem Fuß auf den anderen. Vorsichtig dreht er den Kopf, wie jemand, der ein Monster oder ein Ungeheuer hinter sich vermutet, und sieht auf der anderen Straßenseite den Mann mit der Jogginghose, der immer noch an dem Polospieler auf seinem Hemd herumfummelt. Er scheint nicht mehr an Bunny Junior zu denken, bis er plötzlich hochsieht und grinsend mit dem Zeigefinger wackelt.
    Bunny Junior dreht sich um und beobachtet den Fish-and-Chips-Verkäufer mit dem Drahtkorb und den Popeye-Armen, bis er mit seiner Bestellung dran ist. Die Arme des Mannes sind mit dickem, schwarzem Pelz bedeckt.
    »Einmal Pommes, bitte«, sagt der Junge.
    Der Mann hinter dem Tresen füllt ein kleines Wachspapiertütchen mit Pommes und sagt: »Das macht ein Pfund.«
    Der Junge sagt: »Mit Salz, bitte.«
    Der Mann streut aus einem großen Edelstahlstreuer Salz auf die Pommes.
    Der Junge sagt: »Mit Essig, bitte.«
    Der Mann pafft an seiner Zigarette und gießt aus einer Flasche Essig auf die Pommes. Er reicht dem Jungen die Papiertüte, und Bunny Junior gibt ihm das Geld, dreht sich um und sieht auf der Promenade seine Mutter, die von ihm weggeht. Sie trägt ein orangefarbenes Kleid, und ihr blondes Haar ist zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden.
    »Vielleicht sollte ich dich bei der Polizei melden«, sagt der Mann mit der Jogginghose aus dem Mundwinkel. Er steht plötzlich wieder neben dem Jungen und zwirbelt den kleinen Polospieler auf seinem Hemd. Bunny Junior dreht sich ruckartig um, weil er glaubt, der Mann will ihn auffressen. Seine Mutter verschwindet wieder in der Menge auf der Promenade, und mit einem Rauschen in den Ohren rennt er los, ihr hinterher, und wünscht sich, sie würde nicht andauernd verschwinden.
    Während er sich durch die Menge schlängelt, fällt ihm auf, dass die Leute aussehen wie Untote oder Außerirdische oder so. Alle scheinen einen halben Meter gewachsen zu sein und längere Arme bekommen zu haben, ihre Gesichter sind maskenhaft und die Unterkiefer hängen schlaff herab. Er blickt in alle Richtungen, sieht seine Mutter aber nirgends und flüstert wieder dieses Wort. Er bleibt stehen, schaut nach links und rechts und stopft sich ein paar Pommes in den Mund. Dann guckt er über das schmiedeeiserne Geländer auf die untere Promenade, und sein Herz macht einen Sprung, als er seine Mutter auf der Terrasse eines Cafés entdeckt. Sie redet mit ein paar Leuten und raucht eine Zigarette, und Bunny Junior fragt sich, wann sie damit wohl angefangen hat. Wenn er wieder mit seiner Mutter vereint ist, wird er ihr als Allererstes sagen, dass sie die Zigarette ausmachen soll. Er stopft sich noch eine Handvoll Pommes in den Mund und rennt die Treppe runter, nimmt zwei Stufen auf einmal und hält die Papiertüte über dem Kopf wie die Freiheitsstatue oder ein olympischer Fackelträger.
    Auf der unteren Promenade ist es heißer und grässlich hell. Der Junge wünscht sich, er hätte seine Sonnenbrille mitgenommen, weil seine Augen so jucken, dass es kaum auszuhalten ist, und weil die Leute alle halb nackt sind. Die Masse haariger Arme, schuppiger toter Haut, geronnenen Make-ups, stinkender Schweißringe, leichenhafter Altersflecken und weißer Speckrollen lässt den Jungen schaudern, aber er schlängelt sich durch die zombiehafte Menge auf seine hübsche Mutter zu.
    Am Café angelangt, schnappt er nach Luft und überlegt, was er mit der Pommestüte machen soll, und seine Mutter spürt seine Anwesenheit und dreht sich um.
    »Hallo«, sagt sie mit warmer, vertrauter Stimme.
    Der Junge sieht, dass sich ihre Gesichtszüge ein wenig verändert haben.
    »Alles klar mit dir, mein Kleiner?«, fragt sie und zieht an

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