Der Tod des Bunny Munro
Luft.
»Beethoven!«, ruft sie wie in einem Rausch, und ein Nebelringel kräuselt sich von ihren Lippen.
»Sie war psychisch krank«, sagt Bunny flehend.
»Was?«, fragt Mrs. Brooks.
»Hm?«, macht er, den Kopf immer noch gesenkt.
Plötzlich spürt Bunny, wie ein unbändiger Zorn sein Inneres zerreißt – ein Zorn, der sich gegen alles richtet – seine Frau, die ihn selbst von jenseits des Grabes zur Strecke bringt, um verleumderisch mit dem Finger zu drohen, gegen diese gichtige Alte mit ihren Gebrechen und spinnerten Bedürfnissen, sein durchgeknalltes Kind, das im Auto auf ihn wartet, gegen seinen krebszerfressenen Vater, all die gierigen, blutsaugenden Frauen und die verdammten Bienen und Stare – was wollen die alle von mir?! Er verflucht seine eigenen unersättlichen Gelüste und versucht im selben Moment, seine Gedanken mit herkulischer Willenskraft auf die glänzenden Genitalien irgendeines Popsternchens, einer Berühmtheit oder einfach nur irgendeiner Frau umzulenken, aber ihm fällt keine ein, weil die Stare jetzt im Sturzflug das Fenster bombardieren und die Klavierakkorde so laut dröhnen, dass er glaubt, es haut ihm den Schädel entzwei. Mrs. Brooks greift mit ihrer verkrüppelten Klaue nach seiner Hand und sagt: »Wir müssen einander lieben oder sterben!«
»Hm?«, macht Bunny, die Augen noch immer abgewandt, gesenkt, geschlossen.
»Sie wirken nur gerade so traurig«, hört er Mrs. Brooks sagen.
»Was? Wie bitte? Traurig?«, fragt Bunny, zieht ruckartig den Arm weg und knallt den Musterkoffer zu. Die alte Dame sieht blind um sich, und ihre ausgestreckte Hand kratzt vergebens durch die Luft.
»Verzeihen Sie«, sagt sie voller Selbstvorwürfe. »Es tut mir schrecklich leid, dass ich Sie verärgert habe.« Beschwichtigend tätschelt sie den leeren Raum vor sich. »Ich begleite Sie hinaus«, sagt sie.
Bunny steht auf, den Kopf immer noch gesenkt und die Hände auf den Ohren.
»Sparen Sie sich das, Mrs. Brooks«, stößt er wütend hervor, nimmt lautlos und geschickt die Ringe der alten Dame vom Tisch und steckt sie in seine Jacketttasche. »Ich finde allein zur Tür«, sagt er.
Bunny dreht sich trotzig zu dem Bösendorfer um und sieht gerade noch das Wallen der Luft über dem Brokathocker, von dem seine Frau gerade verschwunden ist. Er wendet sich ab, klopft sich auf die Jacketttasche, schnippt sich die pomadige Stirnlocke aus den Augen und denkt: ›Leckt mich doch alle.‹
22
Draußen auf dem Gehweg bleibt Bunny einen Moment stehen und lässt die bleichen Überreste der Nachmittagssonne und den sanften Seewind über sein Gesicht streichen, damit sie die widerliche Atmosphäre der staubigen Wohnung der alten Dame forttragen – ein Ort, an dem Geister erscheinen. Sein Hemd ist schweißgetränkt, und er blickt sich zitternd um und sieht, dass die Stare fort sind. Er glaubt, aus Mrs. Brooks’ Wohnung noch immer die hämmernden Begräbnisakkorde zu hören, aber er ist sich nicht sicher.
Er geht runter zur Marine Parade, und als er um die Ecke biegt, fallen ihm mehrere Dinge gleichzeitig auf. Erstens steht eine Polizistin neben dem Punto und spricht in ein Funkgerät oder ein Walkie-Talkie oder so was. Zweitens trägt sie eine blaue Gabardine-Uniform, in der ihre Titten vor Aufseherinnenautorität nur so brummen, was Bunny direkt in den Schwanz geht, und drittens ist sie definitiv keine Lesbe, denn ihre Arschbacken sind hoch angesetzt und unglaublich straff. Erst als er auf sie zugeht, im Kopf immer noch das dröhnende Klavier, fragt er sich, was zum Teufel sie da macht.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragt Bunny, und eine Nadel bahnt sich ihren Weg hinter sein linkes Auge.
Die Polizistin nimmt das Funkgerät runter, das ein statisches Glucksen von sich gibt. Bunny betrachtet die schwere Ausrüstung an ihrem Koppel – Handschellen, Schlagstock, Reizgas, das volle Programm – und ihre Torpedotitten, und trotz seiner düsteren Gemütslage findet in seiner Leopardenunterhose eine Art alchimistische Transmutation statt, eine sanftmütige Maus verwandelt sich in eine übermächtige Krypton-Latte, und er fragt sich insgeheim, ob man der Gesellschaft nicht einen größeren Dienst erweisen würde, wenn man genau diese Polizistin von der Öffentlichkeit fernhielte – ihr etwa einen Schreibtischjob in irgendeinem Büro gäbe, wo es die ganze Zeit schweinekalt ist oder so.
»Ist das Ihr Sohn?«, fragt die Polizistin.
»Ja«, erwidert Bunny, hält eine geübte Hand vor seine Kirchturmhose und liest
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