Der Tod des Bunny Munro
Ein entsetzlich süßer Geruch steigt ihm in die Nase, und sie fragt: »Alles in Ordnung mit dir, junger Mann?«
Der Junge presst die Lippen zu einer Art Lächeln zusammen und nickt.
»Solltest du nicht in der Schule sein?«, fragt sie, und Bunny Junior, der annimmt, dass ihn das Ungeheuer in der weißen Jogginghose verpetzt hat, weiß nicht, was er antworten soll. Er fingert an seinem Darth Vader herum und schüttelt den Kopf.
»Warum nicht?«, fragt die Polizistin, und aus ihrem Funkgerät kommt ein kurzes statisches Blubbern, das so große Ähnlichkeit mit einem Furz hat, dass Bunny Junior kurz kichern muss.
»Mein Dad sagt, ich brauch nicht zur Schule zu gehen«, sagt er, und plötzlich hat er die Nase gestrichen voll von Erwachsenen – von Polizistinnen mit Schlagstöcken, widerlichen Typen in weißen Jogginganzügen, Spinnern mit Sternzeichenanhängern, Frauen, die krähen wie ein Hahn, Fettsäcken in Blumenkleidern und Müttern, die sich einfach umbringen –, und er fragt sich wütend, wo zum Teufel sein Scheißvater steckt. Fast sofort überfällt ihn ein schlechtes Gewissen, weil er so etwas gedacht hat, und er streicht es sich aus dem Kopf.
»Und warum nicht?«, fragt die Polizistin.
»Weil ich krank bin«, erwidert Bunny Junior, lässt sich in den Sitz zurücksinken und ahmt mit dramatischen Gebärden einen Jungen kurz vor dem Abnibbeln nach – recht überzeugend, wie er findet.
»Ach so. Solltest du dann nicht das Bett hüten?«
»Wahrscheinlich schon«, antwortet Bunny Junior schulterzuckend.
Die Polizistin zeigt in den Wagen. »Wer ist denn das da?«
Der Junge wackelt mit seinem Darth Vader und sagt: »Darth Vader.«
Die Polizistin richtet sich auf, legt die Faust auf die Brust und sagt mit gespieltem Ernst: »Möge die Macht mit dir sein.«
Bunny Junior sieht, dass sich wieder die kleinen Dellen in ihren Mundwinkeln bilden. Dann verschwinden sie, die Polizistin steckt den Kopf wieder zum Fenster rein und fragt: »Und wo ist dein Dad?«
Das silberne Armband an Bunnys linker Hand klimpert, und das Geräusch hallt leise im Raum nach. Mrs. Brooks’ Hände liegen zuckend in ihrem Schoß, und sie sehen tatsächlich jünger aus. Auf ihrem kleinen, runzligen Gesicht liegt ein glückseliges Lächeln, und Bunny, der an seinem Bleistiftstummel leckt und das Bestellformular ausfüllt, fühlt sich auf unbestimmte Art gerechtfertigt. Er hat sich wieder einmal selbst übertroffen, findet er. Er hat dieser alten Dame eine ganze Batterie von Kosmetikprodukten verkauft, die sie nie benutzen wird, aber genau damit hat er die alte Schachtel glücklich gemacht. Bunny spürt aber auch ein nervöses Unbehagen, eine innerliche Rastlosigkeit wie von Koffein. Er fühlt sich schon den ganzen Nachmittag so und hatte angenommen, es wäre einfach nur ein gewöhnlicher Kater (er hatte es am Morgen ein bisschen übertrieben), aber jetzt sieht er durch das Fenster eine bedrohlich dunkle Wolke von Staren, die über dem stürmischen Meer fällt und steigt, und plötzlich wird ihm klar, dass sein Unbehagen viel mehr ein wachsendes Grauen ist – aber ein Grauen wovor?
»Sie erhalten unsere Produkte innerhalb von zehn Arbeitstagen, Mrs. Brooks«, sagt Bunny.
»Es war mir ein großes Vergnügen, Mr. Munro.«
Dann fällt es ihm wie Schuppen von den Augen, und er begreift, dass er es schon die ganze Zeit kommen sah. Es kriecht durch seine Knochen in ihm hoch, und sein Herz wappnet sich. Das Radio ist unerklärlicherweise verstummt, es ist ein wenig dunkler geworden im Zimmer und die Temperatur ist gefallen. Bunnys Fingerspitzen werden taub, und seine Nackenhaare stellen sich auf. Die Deckenlampe gibt ein kurzes elektrisches Knistern von sich. Bunny weiß es sicherer als sonst irgendwas auf der Welt: Wenn er jetzt den Kopf hebt und zur Wand schaut, wird er seine tote Frau Libby sehen, die auf dem brokatbezogenen Hocker vor dem Bösendorfer sitzt. Sie wird das Nachthemd tragen, das sie in ihrer Hochzeitsnacht und am Abend ihres Selbstmords trug. Am äußersten Rand seines Blickfelds sieht Bunny einen orangefarbenen Klecks und eine vorwurfsvolle Aufwärtsbewegung eines Arms. Die Stare beginnen manisch zu zwitschern, sie picken und kratzen an der Fensterscheibe, die Luft pulsiert und verzieht sich, und als Bunny schwere, unheilschwangere Akkorde hört, die auf dem Klavier gehämmert werden, wirft er die Hände auf die Ohren und versucht vergeblich zu schreien.
Mrs. Brooks durchharkt mit ihren Klauen die
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