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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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ihrer blauen Schwesterntracht die Treppe runter, in einer Hand eine Art Schultasche und in der anderen einen Schlüsselbund, und vorn auf ihrer gestärkten Bluse hüpft eine kleine, kopfstehende Uhr an einer Kette auf und ab. Bunny läuft ihr geradewegs in die Arme.
    »Genau Sie suche ich«, sagt sie.
    »Was ist mit dem Lift?«, fragt Bunny keuchend und schwitzt so sehr, dass ihm das Hemd an den Rippen klebt.
    »Der ist kaputt«, erwidert Miss Lumley trocken. »Schon seit Monaten, Mr. Munro.«
    Miss Lumley ist ungefähr Mitte fünfzig und hat ein nettes, teilnahmsvolles Gesicht, das durch das Betrautsein mit einer unangenehmen Aufgabe vorübergehend entstellt ist – gerötet, verbittert, erschöpft.
    Sie späht über den schwarzen Rand ihrer Brille und hält Bunny den baumelnden Schlüsselbund hin.
    »Ich kündige«, sagt sie.
    »Was?«, fragt Bunny.
    »Ihr Vater stirbt, Mr. Munro. Er braucht ständige medizinische Betreuung.«
    »Ich dachte, dafür sorgen Sie«, antwortet Bunny.
    »Er muss in ein Krankenhaus, Mr. Munro.«
    Miss Lumley geht einen Schritt auf Bunny zu, drückt ihm den Schlüssel in die Hand und mustert ihn von Kopf bis Fuß.
    »Was ist denn mit Ihnen passiert?«, fragt sie.
    »Er geht in kein Krankenhaus, und das wissen Sie«, sagt Bunny und lehnt sich Halt suchend an die Wand; die letzten Tage lasten auf seinen Schultern wie Zementsäcke.
    »Vielleicht ist für Sie auch noch ein Bett frei«, sagt Miss Lumley und berührt vorsichtig Bunnys Nasenflügel. »Sie sehen ja schlimmer aus als er.«
    »Sie sehen selbst auch nicht gerade heiß aus«, erwidert Bunny, greift lächelnd in die Jacketttasche und zieht die Scotch-Flasche heraus.
    »Kleiner Drink gefällig?«
    Miss Lumley lächelt zurück. »Es war nicht einfach. Ich bin ein geduldiger Mensch, Mr. Munro. Ich habe mein Bestes getan. Aber ich bin einfach nicht bereit, weiter derartige Beschimpfungen über mich ergehen zu lassen. Das verstehen Sie sicher. Ihr Vater ist sehr krank«, sagt sie, »hier« – sie legt eine Hand auf die Brust – »… und da« – sie tippt sich an den Kopf.
    Während Bunny einen Hieb aus der Flasche nimmt, eine Lambert and Butler in den Mund steckt und sie mit dem Zippo anzündet, sieht Miss Lumley zu Bunny Junior runter.
    »Hallo, mein Kleiner«, sagt sie.
    Bunny Junior wackelt mit seiner Darth-Vader-Figur.
    »Ich hab was am Ohr abgekriegt«, sagt er.
    Miss Lumley beugt sich zu ihm runter, schiebt ihre Brille hoch und sieht sich die kleine Wunde des Jungen an.
    »Dafür hab ich was«, sagt sie und holt eine kleine Tube Wundsalbe und ein Päckchen Heftpflaster aus ihrer Tasche. Sie tupft ein wenig Salbe auf das Ohr und klebt ein hautfarbenes, rundes Pflästerchen darauf.
    »Du siehst ziemlich ramponiert aus«, sagt Miss Lumley und schließt ihre Tasche.
    »Sie sollten mal den anderen sehen«, antwortet Bunny Junior und sieht lächelnd zu seinem Dad hoch.
    Miss Lumley wendet sich wieder Bunny zu.
    »Er ist ein Schatz«, sagt sie.
    Bunny zieht an seiner Lambert and Butler, seine Hand zittert, ein elektrisierter Nerv unter seinem rechten Augen zuckt, und ein Schweißbächlein rinnt ihm seitlich das Gesicht hinab.
    »Im Ernst, Mr. Munro, ist mit Ihnen alles in Ordnung?«
    »Hey, heute ist Besuchstag«, antwortet Bunny.
    »Ich kann Ihren Schmerz nachfühlen«, sagt Miss Lumley und legt ihm eine Hand auf den Arm. Dann nimmt sie ihre Tasche. »Bringen Sie Ihren Vater in ein Krankenhaus, Mr. Munro«, sagt sie, dreht sich um und verschwindet im Treppenhaus.
    Bunny lässt den Schlüsselbund in seiner Hand klirren, dann umschließt er ihn mit den Fingern und sieht Bunny Junior an.
    »Oh Mann«, sagt er. »Auf geht’s.«
    Der Junge legt den Kopf leicht schief, auf den Lippen ein abgewracktes Lächeln, und die beiden – Vater und Sohn – steigen zusammen den letzten Treppenabsatz hoch.
     
    Bunny steckt das Hemd in die Hose, fährt sich durchs Haar und rückt die Krawatte gerade, dann kippt er sich den restlichen Scotch hinter die Binde, zieht ein letztes Mal an seiner Lambert and Butler, dreht sich zu Bunny Junior um und fragt: »Wie sehe ich aus?« Ohne die Antwort abzuwarten, klopft er dreimal an die Tür von Wohnung 17 und geht vorsichtshalber einen Schritt zurück.
    »Hau ab, du Pissnelke!«, brüllt es von innen. »Ich bin beschäftigt!«
    Bunny beugt sich dicht an die Tür. »Dad! Ich bin’s! Bunny!«
    Ein grässliches Husten dringt aus dem Zimmer. Es klappert, Möbel schrappen über den Boden, dann folgt ein Schwall derber

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