Der Tod des Bunny Munro
Verschluss ab und trinkt die Hälfte. Dann steckt er sich eine Lambert and Butler zwischen die Lippen, zündet sie an, nimmt einen tiefen Zug und sagt zu Bunny Junior: »Mach das bloß nicht nochmal!«
»Was denn, Dad?«
»Aus dem Auto aussteigen, verdammt nochmal.«
»Mum wollte mit mir reden«, sagt der Junge.
»Scheiße, Mann! Guck dir an, was dieser Wichser mit dem Punto gemacht hat!«, sagt Bunny und wischt die Glassplitter vom Armaturenbrett. Bunny sieht den Jungen durchdringend an und zischt durch die Zähne: »Wir spielen hier nicht irgendein beschissenes Kinderspielchen.«
»Ich weiß, Dad.«
»Das hier ist die Realität, verdammt nochmal!«
In diesem Moment merkt Bunny, dass sich das Autoradio in dem ganzen Tumult selbst eingeschaltet hat und Kylie Minogues »Spinning Around« spielt, und als er den hämmernden Synthesizer hört und Kylie, die sehnsüchtig davon singt, wie gern sie mit egal wem ins Bett springen würde, beginnt er zu zittern – zu zittern und zu schlottern, und schließlich zittert, schlottert und bibbert er am ganzen Körper, sein Herz klopft wie ein Presslufthammer, seine Zähne klappern wie in einem Aufziehgebiss, und er zieht den Arm zurück, reißt den Mund auf und rammt mit einem lauten, existenziellen Stöhnen die Faust in das Autoradio.
»Dieser Scheißsong!«, brüllt er.
Und dann klingelt sein Handy.
»Verdammt nochmal!«, schreit er, reißt das Handy aus der Jacketttasche, klappt es auf und brüllt: »Ja!«
»Bunny?«
» Ja! «
»Ich bin’s, Geoffrey, alles in Ordnung, mein Bester?«
»Nein, Geoffrey, verfluchte Scheiße, überhaupt nichts ist in Ordnung!«
»Hör mal, Bun, hier im Büro hat eine Miss Lumley angerufen. Sie sagt, sie ist die Pflegerin von deinem Dad. Sie klang … na ja … total pissig. Du sollst zu deinem Dad fahren, aber pronto. Sie meint, es ist wirklich dringend. Es ist, Zitat, ›eine äußerst ernste Angelegenheit‹ schätzt sie«, sagt Geoffrey.
»Was? Jetzt?«
»Sie sagt, dein Dad wäre sehr krank oder so was.«
An Bunnys Ende der Leitung herrscht Stille.
»Ich sag dir ja nur, was sie gesagt hat, Bwana«, sagt Geoffrey.
Bunny klappt das Handy zusammen wie einen Hummer, schmeißt es auf das Armaturenbrett und hämmert auf das Lenkrad ein, bis ihm die Hände wehtun.
»Scheiße! Scheiße! Scheiße und nochmals Scheiße!«
»Wo fahren wir hin, Dad?«
Bunny lässt den Punto an.
»Wir besuchen deinen Großvater. Meinen Vater. Den großen Bunny Munro, den Ersten«, antwortet Bunny, tritt aufs Gas, rast los und reiht sich wie mit der Brechstange in den Frühnachmittagsverkehr ein, der auf der Küstenstraße dahinfließt. »Dahin fahren wir, verdammt nochmal.«
Bunny Junior sieht über dem grauen, geschwollenen Meer ein breites Band von Gewitterwolken heraufziehen, blutergussartig grün und blau, und Möwenschwärme, die wie die Fetzen einer zerfledderten Zeitung durch einen Himmel wehen, der so beleidigt und gekränkt aussieht, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen oder sich einnässen. Der Wind trägt den Geruch von Fisch und Salz herüber, die tosende Brandung spritzt über die Strandmauer, und der Junge berührt seine Ohrspitze und sagt zu seinem Vater: »Ich glaube, es regnet gleich, Dad.«
In diesem Moment sieht er die ersten dicken Regentropfen, die dumpf auf die verbeulte Motorhaube des Punto schlagen, dann reißt der Himmel auf und es schüttet wie aus Eimern.
28
In dem runtergekommenen Haus nicht weit vom Old Steine sind die Teppiche abgewetzt, die Glühbirnen funktionieren nicht, und die Weidenmotivtapete mit Chinesen, die sich aneinander reiben oder sich gegenseitig einen blasen – Bunny kann es nicht so richtig erkennen –, ist verblichen und teilweise abgerissen. Bunny geht die Treppe hoch und wäre an jedem Ort der Erde lieber als hier. Seine Rippen schmerzen, seine Knie sind aufgeschrammt und die Hände abgeschürft, seine Nase erinnert an einen Fliegenpilz, seine Hose hat zerfetzte Knie und die Locke baumelt auf seiner Stirn herum wie ein Stück Darm, wie irgendwas aus dem Bauch von irgendwas.
Bunny Junior folgt ihm dicht auf den Fersen, und auf jedem Treppenabsatz sieht er den Sturm gegen die Fenster peitschen und betet, dass die Müllsäcke halten, die sein Vater mit Gaffer-Tape vor die kaputte Heckscheibe des Punto geklebt hat, denn er hat seine Enzyklopädie auf dem Rücksitz liegen lassen und weiß nicht, was er machen würde, wenn damit irgendwas passiert.
In diesem Moment kommt Miss Lumley in
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