Der Tod des Chefs/Mord mit doppeltem Boden
Isabel
beherrschte sich vielleicht besser als die meisten von uns. Sie stammt aus
einer vornehmen alten Familie und wurde in der Tradition des Machismo erzogen -«
»Machismo?«
»Ihr wurde von Kindheit an beigebracht,
sich Männern zu unterwerfen. Frauen, die nach diesem Muster erzogen werden,
können nach außen lieb und gehorsam erscheinen, aber innerlich können sie
genauso hassen wie die Frauen, die nicht so erzogen wurden.«
»Und ich nehme an, Miss Oliverez, daß
Sie nicht in der Tradition des Machismo erzogen worden sind.«
»Wohl kaum.«
»Wie kommt es, daß mich das so gar
nicht überrascht?« Die Fragen gingen weiter. Als ein uniformierter Beamter Kirk
irgendwelche Formulare zur Unterschrift brachte, legte Kirk eine Pause ein und
ließ uns Kaffee holen. Dann setzte er sein Verhör fort. Es wurde sieben Uhr.
Ich hatte Kopfschmerzen und war heiser. Versuchte er, mich mürbe zu machen, wie
man das immer in den Kriminalfilmen sah?
Endlich warf er seinen Stift auf den
Schreibtisch und stand auf.
»Gut, Miss Oliverez. Das reicht für
heute.«
»Kann ich jetzt gehen?«
»Ja.«
»Gut.« Ich stand auf und nahm meine
Handtasche. Plötzlich fiel mir etwas ein, das mir während des ganzen Verhörs
immer wieder durch den Kopf gegangen war. Ich zögerte. Aber hatte ich nicht
schließlich das Recht, selbst auch ein paar Fragen zu stellen? »Lieutenant«,
sagte ich, »wurde Frank de Palma eigentlich obduziert?«
Er sah mich überrascht an. »Natürlich.«
»Woran ist er gestorben?«
Ein seltsamer Ausdruck huschte über
sein Gesicht. Ich hätte schwören können, er bemühte sich, nicht zu lächeln — nur
wußte Dave Kirk wahrscheinlich überhaupt nicht, wie ein Mensch lächelt.
»Mr. de Palma starb an Gehirnblutung.«
»Haben Sie die Mordwaffe schon
gefunden?«
»Nein.«
»Haben Sie sonst etwas Interessantes im
Ausstellungssaal gefunden?«
Er sah mich nur an.
»Lieutenant Kirk, ich bin
geschäftsführende Direktorin des Museums. Ich denke, auch wenn ich Ihre
Hauptverdächtige bin, habe ich ein Recht zu erfahren, was Sie bisher ermittelt
haben.«
Er seufzte. »Gut, Miss Oliverez. Wir
haben am Tatort nichts ›Interessantes‹, wie Sie es formulieren, gefunden. Die
Fingerabdrücke stammen durchwegs von Mitarbeitern und freiwilligen Helfern. Es
lagen Keramik- und Terrakotta-Scherben von dem zertrümmerten Baum herum, sonst
war nichts zu entdecken.«
»Hm.«
»Möchten Sie sonst noch etwas wissen?«
»Ah — ja. Sind Sie sicher, daß sich der
Mörder nicht über Nacht im Museum hätte verstecken können? Denn ich kann mir
nicht vorstellen, wie er anders rausgekommen sein soll.«
»Nein, Miss Oliverez, das ist
ausgeschlossen. Wir haben sämtliche Mitglieder der Familie de Palma, alle
Freunde und Mitarbeiter Mr. de Palmas überprüft. Wir wissen, wo jeder die
fragliche Nacht verbracht hat.«
»Es könnte doch jemand gewesen sein,
den Sie nicht überprüft haben.«
»Von einem Fremden wurde Mr. de Palma
sicher nicht getötet.«
»Wieso nicht?«
»Bei einem Verbrechen dieser Art, dem
das Element der Willkür fehlt, ist der Mörder im allgemeinen jemand, der dem
Ermordeten nahestand — ein Familienmitglied oder ein Mitarbeiter.«
Mir gefiel weder die Anspielung noch
das eklige Lächeln auf seinem Gesicht. Und ich würdigte ihn keiner Antwort.
10
Die Galerie, La Galería, war in El
Paseo, einer Fußgängerzone mit schönen restaurierten Einkaufsarkaden in der
Altstadt, nicht weit von unserem Museum. Ich eilte von der Anacapa Street durch
einen Torbogen und hastete ohne einen Seitenblick an Geschäften vorüber, die
Kerzen und Töpferwaren anboten, Leder und Schmuck. Es war ein warmer Abend ohne
Nebel, und an den Tischen rund um den Brunnen auf dem Platz saßen Leute bei
Wein und Margaritas. Aus dem Inneren des Cafés kamen die wehmütigen Klänge
einer spanischen Gitarre.
Dies war eine Touristengegend, und die
meisten Geschäfte blieben abends bis neun oder zehn Uhr geöffnet, um den
Fremden Gelegenheit zum Einkauf zu geben. Ich bog vom Platz in eine Gasse ein,
in der sich die Kunstgalerie befand, die früher einmal Frank de Palma gehört
hatte. Obwohl sich ab und zu auch Touristen in die Galerie verirrten, bestand
ihre Kundschaft doch größtenteils aus ernsthaften Sammlern mit Geschmack und
viel Geld. An diesem Abend kurz vor acht war der Ausstellungsraum der Galerie
menschenleer.
Ich ging hinein und sah mich um. An den
Wänden hingen abstrakte Gemälde. Zwei sehr schöne
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