Der Tod des Zauberers
später in Achenreuth und im >Botenwirt< sein müssen!«
»Der Hausl hat bis zehn Uhr gewartet, hat dann das Tor offen gelassen und ist zu Bett gegangen. Leider mit einem Mordsrausch, sonst wäre er der einzige, der vielleicht den Wagen oder die Schüsse gehört hätte. Er schläft nämlich zum Hof hinaus in einer Dachkammer. Sogar das Fenster war offen, aber der besoffene Lackl hätte ja auch nichts gehört, wenn er nüchtern gewesen wäre, weil er halb taub ist.«
»Wo war Manueli zwischen sieben und elf Uhr abends?«
»Das möchte ich auch gern wissen«, seufzte Veitl, »und außer Ihnen und mir möchten das noch verschiedene andere Herren wissen. Aber wir wissen es nicht. Und da kannst halt nix mach’n.« Er erhob sich, griff nach Koppel und Mütze, schnallte um und reichte mir die Hand. »Nichts für ungut, Herr van Doorn, wenn ich jetzt gehe. Aber meine Alte ist in der letzten Zeit besonders kritisch. Sie kriegt es immer mit der fliegenden Hitz’n, wissen S’... No ja, wir werden auch nicht gerade jünger. Übrigens, wenn Sie das interessiert: Manuel Manueli war nur sein Künstlername. In Wirklichkeit hieß er Michael Borda und stammte aus Magdeburg.« Er lockerte das nicht vorschriftsmäßig sitzende Koppel noch einmal und schnallte es mit einem so energischen Ruck um den eingezogenen Bauch, als schnüre er sich die Luft für eine Bemerkung ab, die er mir gegenüber aufgrund der drei Biere und aufgrund unserer langjährigen Bekanntschaft aus Höflichkeit lieber unterdrückte: Was kann aus Preußen schon Gutes kommen?
»Michael Borda also... Nun, ich habe diesen Namen ebensowenig gekannt wie den andern. Aber das mag daran liegen, daß ich seit vielen Jahren nie mehr ein Variete besucht habe. Auf jeden Fall danke ich Ihnen, Herr Oberwachtmeister. Und wenn ich das nächstemal nach Achenreuth komme, dann spielen wir wieder mal einen zünftigen Tarock miteinander, ja?«
»Mit dem größten Vergnügen, Herr van Doorn«, rief Veitl eifrig und grüßte von der Tür aus noch einmal herüber, »mit dem allergrößten Vergnügen!« Das Vergnügen lag tatsächlich auf seiner Seite, denn wenn Veitl, Bürgermeister Voggenreiter, der Lehrer Brandl und ich einen Tarock oder Schafkopf droschen, dann war meine Rolle bei dem Spiel nur die Rolle einer reichlich Milch gebenden Kuh. Aber ich ließ mich gern melken, denn es machte mir Spaß, ihren urwüchsigen Sprüchen und Geschichten zuzuhören. Ich winkte die Kellnerin heran.
»So, Kathi, jetzt geben Sie mir noch rasch ein anständiges Bier, damit ich den Geschmack von dem faden Gesöff loswerde, und dann werde ich zahlen.«
»Ich hab’s eh net verstanden, wie Sie das grausliche Zeug trinken mögen, Herr Baron«, meinte sie und beeilte sich, meinen Wunsch zu erfüllen. Als sie das Bier vor mir niederstellte, sagte sie: »Sie haben doch wissen wollen, wie der Herr Manueli ausgesehen hat, gell? Das Fräulein hat mir ein Bild von ihm geschenkt und eins, wo sie als Miss Arabella mit drauf ist. Wenn Sie ein wenig warten wollen, Herr Baron, dann hol’ ich die Bilder aus meinem Zimmer. Ich bin gleich wieder zurück...«
»Oh, das ist aber sehr nett von Ihnen, Fräulein Kathi...«
»No«, murmelte sie und strich sich die Schürze glatt, »für so einen netten Herrn, wie Sie einer sind, Herr Baron, tut man doch alles!«
Sie verschwand und kam bald mit den Bildern zurück, zwei Fotos, die an den Ecken Spuren von Reißstiften trugen und wahrscheinlich aus dem Schaukasten eines Theaters stammten, wo sie Reklamezwecken gedient hatten. Während ich die Bilder betrachtete, schaute Kathi mir über die Schulter.
»Ein schöner Mann, der Herr Manueli, gell?« fragte sie mit einem Seufzer, der tief aus ihrer üppigen Brust kam. »Und so ein Mann mußte so schrecklich enden!«
Manueli war, und das ließen die gestochen scharfen Aufnahmen deutlich erkennen, wirklich ein überdurchschnittlich gutaussehender Mann. Er überragte seine Partnerin, die platinblond und netz-bestrumpft in einem flitterbesetzten Artistentrikot neben ihm stand und tatsächlich fast so üppig war, wie Veitl sie beschrieben hatte, um einen ganzen Kopf. Schlank, hochbeinig und breitschultrig, hatte er die ideale Figur für den eleganten Frack, den er auf dem Bild trug. Sein Alter war schwer zu schätzen, aber es mochte zwischen fünfundvierzig und fünfzig Jahren liegen. Das dunkle, straff zurückgebürstete Haar schimmerte an den Schläfen silbergrau; ob er diesen interessanten Effekt der Natur oder dem Friseur
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