Der Tod heilt alle Wunden: Kriminalroman (German Edition)
sollte, dass sich Miss Lee unter Vorspiegelung falscher Tatsachen finanziell bereichert habe. Pascoe hatte darüber nur gelacht. »Komm schon, Wieldy! Entweder ist es immer Vorspiegelung falscher Tatsachen, wenn man jemanden heilt, indem man ihm Nadeln reinsteckt, oder eben nicht. Aber jemandem Nadeln reinzustecken und ihn dabei umzubringen, ist Mord, und nur damit müssen wir uns hier beschäftigen.«
Und wie Pascoe mit der Frau aus der Seaview Terrace umsprang, war für Wieldy ebenfalls Grund zur Besorgnis. Bis sie mit Godley fertig waren, hatte Mrs. Griffiths bereits gut eine Stunde lang gewartet. Seymour hatte sie angetroffen, als sie gerade gepackt hatte und zur Abreise bereit war. In aller Gerissenheit hatte er darauf bestanden, sie solle ihr Gepäck doch mitbringen, zur Sicherheit, wie er beteuerte. Das hieß nun, dass es damit den gleichen Status wie eine Handtasche hatte und wesentlich leichter zu durchsuchen war; wäre es im Haus geblieben, hätten sie dafür einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss gebraucht.
Natürlich würde eine Durchsuchung ihrer persönlichen Gegenstände eine wesentliche Änderung ihrer Rechtsstellung voraussetzen. Im Moment war sie nichts anderes als eine freiwillige potenzielle Zeugin. Sie so lange warten zu lassen war eine gefährliche Strategie. Wenn sie sich in den Kopf setzte, einfach zu gehen, müssten sie sie schon festnehmen, wenn sie sie dabehalten wollten. Trotzdem schien es Pascoe nicht eilig zu haben. Er hatte eine Akte aufgeschlagen, die Wield erkannte. Unmittelbar nach dem Mord an Ollie Hollis hatte der Sergeant keine Gelegenheit mehr gefunden, seinen Bericht über das Gespräch mit Franny Roote abzufassen. Erst vergangene Nacht, bevor ihm ein paar Stunden Schlaf vergönnt gewesen waren, hatte er ihn geschrieben und dann Pascoe am Morgen zusammen mit Rootes eigener Aussage vorgelegt.
Als er den DCI jetzt so versunken bei der Lektüre antraf, sah Wield seine Chance, das gefährdete Gleichgewicht wiederherzustellen.
»Peter«, sagte er, »lass dir gesagt sein, irgendwann willst du Roote selber sehen wollen. Warum fährst du nicht gleich raus und bringst es hinter dich? Ich kümmere mich derweil um Griffiths. Falls sie mit drinhängt, wird sie noch da sein, wenn du zurückkommst. Falls nicht, hast du nichts verpasst.«
Pascoe sah ihn mit seinen hellblauen Augen an. Kurz glaubte Wield, der starre Blick verfolge noch die letzten Winkelzüge seiner Gedanken. In der Vergangenheit war nur Dalziel dieses Kunststück gelungen.
Dann grinste Pascoe und sagte: »Und du meinst, ich falle in Ohnmacht, wenn sie ihr Glasauge rausnimmt? Vielleicht hast du recht, Wieldy. Und ich muss zugeben, ich finde es störend, dass meine Gedanken immer wieder zu Franny abschweifen.«
»Ich sehe ehrlich keinen Grund, warum er in die Sache verwickelt sein sollte«, sagte Wield.
»Ich auch nicht, aber das muss ich selbst nachprüfen. Außerdem wollte ich ihn sowieso sehen. Okay. Sie gehört dir.«
So leicht war das gewesen. Vielleicht war Rootes Wiederauftauchen der Grund für Pascoes leicht exzentrische Leitung der Ermittlungen. Nun, das würde sich zeigen.
Er wartete, bis Pascoe davongefahren war, dann sagte er: »Also, Dennis, dann plaudern wir mal mit Mrs. Griffiths.«
Wields Stärke bei Verhören war sein Gesicht. Es war so unergründlich wie eine Backsteinmauer. Nur dass eine Backsteinmauer, wie Dalziel gesagt hatte, wesentlich hübscher war. Beleidigungen, Anklagen, theatralische Enthüllungen, spitzfindige juristische Argumente, uneingeschränkte Geständnisse, leidenschaftliche Dementi, alles prallte an seiner regungslosen Visage ab. Schweigen war keine Waffe, weil er mit Schweigen antworten konnte, bis daraus ein heulender Chor wurde. Er musste nie zu verbalen Drohungen greifen. Seine liebste Strategie bestand darin, den Befragten dazu zu bringen, von sich aus zu erzählen, um sich dann auf das zu konzentrieren, was dieser ausgelassen hatte.
In dem Augenblick, als er Sandy Griffiths gegenüber Platz nahm, wusste er, dass es nicht funktionieren würde.
Sie las eine Zeitschrift mit dem Titel
Tierschutz.
Sie trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck
He, Pharmaindustrie, wie viele Ratten wurden heute schon gefoltert?
Und auf dem Tisch vor ihr lag ein Schlüsselbund, an dem sich zweifellos auch die Schlüssel für ihren Koffer befanden.
Seymour schaltete das Aufnahmegerät an und sprach das Einleitungsritual.
»Ratten?«, begann Wield.
»Süße Knuddelkatzen wären besser, meinen
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