Der Tod heilt alle Wunden: Kriminalroman (German Edition)
auf der Terrasse umschaue und ein halbes Dutzend alte Furzer sehe, die an einem anderen Tisch Vino süffeln und richtige Kleidung tragen, als wären sie an der Costa Saga auf Urlaub.
Scheiß drauf, denk ich mir. Gibt keinen Grund, warum ich in meinem Aufzug nicht ein bisschen rumschlendern und das Gelände erkunden sollte. Hab bereits Physiotherapie mit Tony unten in seiner kleinen Turnhalle gehabt. Schwul wie ein Rudel Frisöre, aber er versteht sein Handwerk, und wenn ich mich auch noch lange nicht für Olympia qualifizieren werde, so fühle ich mich doch schon um einiges agiler als bei meiner Einlieferung.
Ich vergewissere mich also, dass keiner hersieht, dann steh ich auf und steig sehr vorsichtig die Stufen der Terrasse hinunter. Hab nämlich keine Lust, mir auch noch das andere Bein zu brechen.
Auf dem Rasen hab ich eigentlich bloß vor, ein wenig rumzuwandern, am leichtesten fallen mir aber immer noch die geraden Linien, und nachdem ich ein gewisses Tempo drauf habe, gehe ich einfach weiter, das Haus im Rücken, bis ich unversehens durch irgendeinen Strauch pflüge.
Dort bleibe ich stehen und sehe zurück. Das Haus ist außer Sichtweite. Das wird die Scheißer ganz schön aufschrecken, denke ich mir. Ein bisschen kindisch vielleicht. Aber wenn sie mich wie ein Kind behandeln, dann kann ich mich auch wie eins aufführen!
Also weiter, bis ich schließlich zur Hecke an der Grundstücksgrenze komme. Dicht und voller Dornen. Wie geschaffen, um Eindringlinge abzuwehren. Und die Gefangenen einzusperren.
Ich schlendere eine Weile daran entlang. Allmählich fühle ich mich erschöpft und will schon wieder umdrehen, als ich die Lücke entdecke.
Eigentlich keine richtige Lücke. Nur eine Stelle, an der zwei Heckenabschnitte aneinanderstoßen, ohne völlig zusammengewachsen zu sein.
Auf der Straße höre ich einen Wagen. Die Straße, die nach Sandytown führt.
Die Straße in die Freiheit.
Plötzlich verspüre ich den starken Drang, sie mir mal anzusehen.
Warum nicht?, denke ich mir. Ich bin kein Gefangener! Und mein Morgenmantel ist einer von der dicken, alten Tweed-Sorte, keiner von diesen fadenscheinigen Baumwoll-Kimonos oder wie man die nennt.
Also setze ich zu einem kleinen Spurt an, gut, langsames Trotten trifft es vielleicht eher, und zwänge mich mit der Schulter in die Bresche.
Ich meine, ich könnte einfach durchmarschieren, kein Problem. Aber es stellt sich heraus, dass die Lücke schmaler ist, als sie ausgesehen hat, und einen Augenblick lang fürchte ich, ich könnte stecken bleiben und müsste letzten Endes gar um Hilfe rufen.
Das gefällt mir nicht, also schiebe ich noch mal an und breche zum Seitenstreifen der Straße durch.
Nur ist es nicht der erwartete Seitenstreifen, flach und eben und grasbewachsen. Sondern ein steiler Abhang, der zur sechs Meter tiefer gelegenen Teerstraße abfällt.
An ein Halten ist nicht mehr zu denken. Mir bleibt nur, mich daran zu erinnern, was ich übers Fallen gelernt habe, kauere mich zusammen und versuche abzurollen. Klar, ausgerechnet jetzt muss ein Wagen den Berg runterkommen. Was, geht mir noch durch den Kopf, ich mir bei der Landung auf den Teer nicht brechen würde, sollte dann der Zusammenprall erledigen.
Dann liege ich unter den Vorderreifen und warte auf die Schmerzen.
Als sie sich nicht einstellen wollen oder zumindest nur so, als hätte man sich mit einem Ladyshave rasiert, stehe ich langsam auf.
Keine plötzlichen Höllenschmerzen, keine gebrochenen Knochen. Ich habe einen Pantoffel und meinen Stock verloren, aber ich bin am Leben und fühle mich nicht viel schlechter als dreißig Sekunden vorher.
Wenn wir nur genau hinsehen, können wir in allem Gottes Absicht erkennen, hat mir mal mein alter Kumpel Vater Joe Kerrigan gesagt.
Ich sehe genau hin.
Hier ist eine Straße, die nach Sandytown führt, wo es ein Pub geben muss, und ich lehne an einem Wagen.
Joe hat recht. Plötzlich erkenne ich Gottes Absicht.
Im Wagen sitzen nette Leute. Sehr hilfsbereit. Ich lasse mich hinten bei diesem Mädel nieder. Hätte dreizehn, hätte aber auch dreißig sein können, ist heutzutage nur noch schwer zu sagen. Es stellt sich heraus, dass ich ihren Dad kenne. Der hat damals, als ich mich zur Mid-Yorkshire Police meldete, gegen mich Rugby gespielt. Ein Bauer, und er hat so gespielt, als würde er ein morastiges Feld pflügen. Wollte nie so recht einsehen, warum hinter dem Gedränge noch andere Spieler sein sollten. Seiner Meinung nach sind sie nur dazu da, in
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