Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Neugier.«
»Nein, nein. Mein Therapeut sagt, ich soll das nicht verschweigen, kein Geheimnis draus machen – lieber offensiv. Wissen Sie, ich bin traumatisiert worden. Gruppenvergewaltigung. Inzwischen hab ich’s beinahe überwunden – fast ohne Rückfälle. Die Polizeiarbeit hilft mir. Ich will natürlich verhindern, dass Frauen solchen Bestien ausgeliefert sind. Deswegen.«
»Natürlich – ach, ah so. Sie sind da sehr offen ... ich mein ... Ich schau mal, ob es mit dem Auto vorangeht.«
Der Uniformierte ergreift die Flucht. So ähnlich hatte sie das mal in einem Roman gelesen. Vielleicht hätte sie nicht Polizistin, sondern Schauspielerin werden sollen. Charakterrollen.
Sie schlürft den Rest Kaffee, steht auf und schlendert den Gang hinunter nach draußen. Ob ihr die Pferde vom Kastelmeier weiterhelfen, ist fraglich. Vielleicht hat sie sich vergaloppiert. Wobei sich feststellen ließe, ob die Erbtante existiert hat. Wenn nicht, besorgt er sich sein Geld wohl auf anderen Wegen. Eine Option. Ihr neugieriger Gesprächspartner hat zwei Kollegen um sich geschart und textet lebhaft auf sie ein. Muss wohl eine traumatische Begegnung verarbeiten.
Sie holt tief Luft und wirft einen Blick zu den grauen Wolkengebirgen. Scheiße. Dürftig. Aber was hatte sie erwartet? Dass ihr sofort jemand flüstert, der Kastelmeyer hätte Dreck am Stecken? Es ist ein Versuch gewesen. Der offizielle Weg wäre eine Sackgasse, seine Personalakte informativ wie die Bildzeitung von vorgestern – mit des Sheriffs Konterfei auf der dritten Seite. Da würdest du nicht einmal die Makrele einwickeln wollen. Sie sucht Geschichten zwischen den Zeilen.
An ihrem Wagen lehnt die junge Polizistin. Sie ist allein. Eine Zigarette hat sie sich angezündet.
»Schnurrt wie eine Katze, kein Problem«, sagt sie und zieht die Augenbrauen fragend in die Höhe.
»Sollte er auch«, meint die Wiesner und lehnt sich neben sie.
»Aha. Tschuldigung, ich hab gedacht, das gibt’s bloß im Fernsehen.«
»Was?«
»Ihr ... Aufzug. Dass eine Kripobeamtin so rumläuft. Vielleicht eine saublöde Frage, aber hat das einen Grund? Warum der Quatsch mit dem kaputten Auto?«
Die Wiesner gibt einen unbestimmten Laut von sich. Irgendetwas zwischen Seufzen und Gähnen. Sie wendet sich der Frau zu.
»Wie heißen Sie?«
»Astrid Kernicke.«
»Also, Astrid, ich bin die Sandra Wiesner.«
Sie streckt ihr die Hand hin. Die Uniformierte greift zu. Sie trägt einen Ehering. Die Nägel sind zweifarbig lackiert.
»Wo sind Sie her?«
»Aus einem Kaff bei Dresden.«
»Aus einem Kaff komm ich auch. Schenkt sich nix.«
Die Frau grinst und hält ihr die Zigarettenschachtel entgegen. Die Wiesner schüttelt den Kopf. Das ist vorbei. Obwohl das jetzt ein schicker Moment dafür wäre. Sie nimmt sich nur zwei Sekunden Zeit zu entscheiden. Weiterkommen will sie. Jetzt oder never. Sie muss es versuchen mit der Astrid. Scheint eine schnelle Auffassungsgabe zu haben – und sie wird mehr wissen vom Cowboy aus dem Harthof. Sein Cowgirl wird sie nicht sein.
»Astrid, kennen Sie den Kastelmeyer?«
»Den Manne – klar. Wieso?«
»Ich frag mich grad, ob Sie so einen Corps-Identity pflegen, hier in der Inspektion oder ob ich mich aus dem Fenster lehnen soll.«
»Korb was? Was meinen Sie? Welches Fenster?«
»Hab nur laut gedacht.«
Die Streifenpolizistin wirft ihre Kippe auf den Boden und tritt sie aus. Sie betrachtet die Wiesner mit misstrauischer Miene. Vielleicht hält sie die für übergeschnappt. Vielleicht ist sie nahe dran. Zumindest überreizt.
»Ich muss wieder.«
»Hören Sie zu«, sagt die Wiesner, ihre Stimme im Dringlichkeitsmodus, »der Manfred Kastelmeyer interessiert mich. Wenn Sie etwas Seltsames bemerken, etwas, was Ihnen komisch vorkommt, meinetwegen verdächtig, rufen Sie mich an.«
Sie zückt eine Karte und streckt sie der Frau entgegen. Ihre Überrumplungstaktik ruft ein Stirnrunzeln hervor. Die junge Uniformierte beäugt die Karte, als wolle ihr die Wiesner eine verbotene Frucht schmackhaft machen. Ein innerer Kampf spielt sich ab. Ihre Hand greift zu. Die Dresdner Eva nimmt den Apfel, schaut sich schnell um und schiebt ihn in die Hosentasche. Niemand hat es gesehen. Keine Sünde. Ihr Arbeitsplatz ist sowieso weder Paradies noch Hölle – irgendwas dazwischen.
»Der Manni Kastelmeyer«, sagt sie nachdenklich. »Der war schon immer komisch. Eigentlich ein Vollpfosten. Das ist der mit den meisten Überstunden. Und spielt sich auf wie der Gott im
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