Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
sie zu verfolgen. Niemand, der plötzlich hervortritt hinter einem Baum. Alles bleibt ruhig. Sie rennt auf das Gebäude zu, sperrt hektisch die Haustüre auf und verschwindet im Flur.
Es dauert ein paar Minuten, bis sich eine dunkle Gestalt auf den Wohnblock zubewegt.
Der Sandner. Zügig schreitet er auf den Eingang zu. Die Schultern gerade, den Kopf erhoben. Gespannt wie ein Jäger. Auch er späht umher. Keinen Meter weit kann er sehen durch den Tropfenvorhang. Der ist heute sein Freund, auf ihn hat er gebaut. Er verharrt vor der Haustür. Zu beobachten ist nichts, was den Ermittler stutzen ließe. Das will nichts heißen.
Er läutet und wird eingelassen. Langsam steigt er die Treppe zum ersten Stock hinauf und klopft. Dreimal. Die Türe öffnet sich wie von Geisterhand. Im Flur ist kein Mensch. Er geht durch bis zur winzigen Küche. Dort setzt er sich an den Tisch. Das Madl sitzt ihm gegenüber. Sie hat den Kopf auf die Arme gestützt und atmet heftig. Niemand spricht ein Wort.
Er schaut sie bloß an. Jetzt zerpflückt sie mit fahriger Geste einen Möbeltandlerprospekt, der vor ihr auf dem Tisch liegt. Teppiche im Ausverkauf, Küchen zum halben Preis, der ganze Kruscht wie immer halb geschenkt und nachgeworfen. Gleich würde sich herausstellen, wie viel ein Leben wert wäre? Wenn es nach dem Sandner geht, wird nichts verramscht. Hochpreissegment. Er gewährt keinen Rabatt.
Ihre Hände zittern. Das ganze Madl schlottert wie die Bäume vor dem Fenster. Bei denen liegt’s am Wind. Hier an den nassen Klamotten oder der Furcht. Wahrscheinlich zu gleichen Teilen. Sie wird nicht mehr lange durchhalten müssen. Bald wird es vorbei sein – auf die eine oder andere Weise.
Nur eine Minute, dann wird die Stille unterbrochen.
Jemand ist im Hausgang. Schwere Schritte auf den Holzstiegen. Sie steigen die Treppe hinauf. Verharren im ersten Stock. Ein Schlüssel dreht sich im Türschloss. Showtime. Leise wird die Türe geöffnet.
Der Sandner gibt dem Madl ein Zeichen. Sie verschwindet in der Abstellkammer nebenan und schließt die Tür.
Er bleibt sitzen. Er hört, wie die Wohnungstür von innen abgeschlossen wird, und lässt ein lautes Husten vom Stapel. Schließlich will er gefunden werden. Er ist kein Osternest, eher die Surprise.
Der Sheriff betritt die Küche. Misstrauisch wie eine Kanalratte, als könnte hinter jeder Ecke die Gefahr lauern. Außer dem Hauptkommissar ist der Raum leer. Das zaubert dem Uniformierten ein Lächeln in die Vollmondvisage. Er lässt die Tür offen und nähert sich dem Tisch.
Der Sandner schaut auf. Seine Miene signalisiert Überraschung.
»Ja, Kastelmeyer! Ich glaub’s ja ned! Was machen Sie denn hier? Ach – ist der Wohnungsschlüssel an Slatkos Schlüsselbund gewesen? Der braucht ihn ja gerade nicht.«
»Ihr Staatsanwalt Wenzel ist auf zack. Wo ist sie hin?«, fragt der Kastelmeyer, sich umblickend. »Ich hab sie kommen sehen, also lügen Sie mich nicht an. Und wo ist die Mutter? Hat das Mädchen schon was gesagt?«
Der Sandner nickt und deutet Richtung Flur. »Sie ruht sich aus. Ist fix und fertig.«
»Keine Kollegen gerufen?« Der Kastelmeyer schüttelt tadelnd den Kopf. Seine Mundwinkel zucken. Er leckt sich kurz über die Lippen. Keine Zeit mehr, sich im Uhrenkasten zu verstecken. Der Wolf ist da. Und er will das ganze Menü, mit Haut und Haaren.
»Das Madl hat eine Allergie – gegen Bullen«, sagt der Sandner, »kann man nix machen. Sonst wäre sie nicht gekommen.«
»Ich hab ihren Vater verhaften müssen – tragisch. Da ist es ein wenig rau zugegangen. Sie wird eine Stinkwut auf mich haben. Wer weiß, was die daherredet.«
»Kann sein. Vielleicht ist sie grantig, weil Sie ihren Freund erschossen haben. Könnte man verstehen, oder?«
»Was?«, schreit der Kastelmeyer. »Sind Sie wahnsinnig. Was fällt Ihnen ein?«
Der Sandner zieht die Mundwinkel in die Höhe. Man könnte es als Lächeln interpretieren. Er streckt die Hand aus.
»Meine Waffe hätte ich gern wieder. Die haben Sie doch sicher einstecken.«
Angestarrt wird er vom Kastelmeyer in einer Mischung aus Wut und Erkenntnis. Reden kann er, was er will. Das interessiert den Hauptkommissar nicht. Die Dienstpistole! Der Sandner will sein Blatt sehen. Kein Bluff mehr.
Der Feiste schließt für einen Moment die Augen. Als würde ihn der nächste Schritt Überwindung kosten. Dabei muss er sich darauf eingestellt haben. Aber sich vorzubereiten ist das Eine. Alle Hemmungen abzustreifen, wie die Schlange die alte Haut,
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