Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
ersehnen den Messias, der sie aus der Gleichgültigkeit, dem Alleinfühlen und der Tristesse hinaus ins Nirwana führt. Und am nächsten Morgen sinkt das Fieber wieder, und du hörst ihn gurgeln und röcheln beim Zähneputzen, und dir wird speiübel.
Die Wiesner beginnt laut zu Cohens Stimme zu grölen: »Dance me to the end of love.«
D er Sandner hat auf sie gewartet. Er bittet sie nicht herein. Nur eine Jacke schnappt er sich vom Haken, bevor er die Wohnungstür hinter sich schließt. Sie kennen sich lang genug, um keine Worte zu verschwenden. Sie wechselt die Beschallung. Mick Harvey darf die Liebe auf seine Art besingen. Melancholisch, zögernd, ohne Pathos.
Schweigsam fahren sie Richtung Obermenzing. Der Hauptkommissar kommentiert nicht einmal ihren rustikalen Fahrstil. Vielleicht ist es der aktuellen Hierarchie geschuldet. Hier die leitende Ermittlerin, daneben der abgehalfterte, ausgemusterte Anachronismus. Nur mehr Wallach anstatt Hengst, ab damit in die Lasagne. In Obermenzing werden sie die beiden jung-dynamischen Mitglieder des Teams vorfinden.
Der Hartinger ist auf dem Weg. Jonny darf immer noch die Nanny für den Oberstaatsanwalt geben.
Wie sie ankommen, hat der Bursch Frühstück bereitet. Es gibt Kaffee und Butterbrezn. Dem Kellner fehlt nur noch die Schürze. Mit einer anderen Ausgangslage wäre es gemütlich, wie die Fünf zusammenhocken. »Fünf Freunde« und das Rätsel der verschwundenen Mutter.
Die Wiesner legt das Notebook auf den Tisch, misstrauisch beäugt vom Ex-Staatsanwalt. Der ist ein Schatten seiner selbst. Optisch und geistig.
Es käme kein Frühling mehr ins wunde Herz eines alten Mannes, hat Jean Paul einst aufgeschrieben. Im Moment ist das Herz vom Oberstaatsanwalt a.D. tief verschneit. Der Schlafentzug ist ihm anzusehen. Die Augen schwarz umschattet, die Wangen hohl. Mit beiden Händen hält er das Kaffeehaferl umklammert, als wäre es ein Rettungsseil. Die Mundwinkel zucken nervös. Die Brezn verschmäht er. Dafür verschwindet eine nach der anderen in Jonnys Schlund.
»So wie ich das versteh, geht’s ihr einen Schritt vor und zwei zurück, wie bei der Echternacher Springprozession. Jetzt bringts ihr noch eine Leich daher, bravo«, resümiert der Ruheständler, »und bald haben wir noch eine, wenn ihr so weiterwurschtelts.«
»Ich glaub, das gehört alles zusammen«, sagt die Wiesner.
»Glauben«, braust der Brauner auf. »Vom Glauben kann ich nicht abbeißen.«
Der Sandner schweigt. Statt am Glauben knabbert er an einer Brezn – das ist schon immer nahrhafter gewesen.
»Ihr müsst euch was anhören«, sagt die Wiesner, »wenn wir schon alle so schön beinandersitzen.« Sie beugt sich über den Laptop.
»Ja hallo, Sie, hier ist einer abgeknallt worden«, ertönt eine Jungmännerstimme. Noch nicht weit nach dem Stimmbruch.
»Wo sind Sie denn? Geben Sie bitte Ihren Namen und Standort ...«
»Da bei der Mauer hinter ...«
Kurzes Rascheln.
Eine neue Stimme, weiblich: »Schau mal. Krass!! Bist du blöd, Mala ...«
Ein letztes »Hallo, sind Sie noch dran?« von der Telefonistin.
»Schluss, das war’s«, verkündet die Wiesner.
»Was war das denn?«, fragt der Hartinger. Seine Brezn ist kurz vor dem Mund in der Warteschleife. Die Wiesner seufzt auf. »Heut Nacht hat jemand in der Notrufzentrale angerufen. Zeitgleich, als der Mord vom Yilmaz passiert sein muss. Wir wissen nicht, wer es ist, wir wissen nicht, was sie gesehen haben – eigentlich wissen wir gar nix. Die angezeigte Nummer kannst du vergessen. Prepaid-Karte, lausige Anmeldung. Das Handy ist seitdem nicht mehr aktiviert worden. Und jetzt kommts ihr. Idee dazu?«
Der Sandner setzt sich gerade im Sessel auf. Irgendetwas am Tonfall der Stimme weckt einen Gedanken in ihm.
»Spiel es noch mal vor.«
»Noch mal?«
»Ja.«
Die Ermittlercombo hängt an seiner Miene. Die ist nachdenklich. Er versucht, die Erinnerungsfetzen zusammenzubinden. Die Stimme. Wie war die Stimme? Er sieht sich vor Chingachgooks Haus stehen, das braunhaarige Madl kommt auf ihn zu, er gibt ihr sein Handy ...
»Noch mal.«
Die Stimme dringt in höchster Lautstärke durch den Raum. Etwas rauchig, belegt.
»Noch mal.«
Den Brauner hält es nicht mehr im Wohnzimmer. Er braucht Bewegung. Hinter ihm fällt mit einem Knall die Tür ins Schloss.
»Malaka«, murmelt der Hauptkommissar.
»Das Kaff in Spanien?«, will der Jonny ungläubig wissen, »da waren meine Eltern vor zwei Jahren im Urlaub.«
»Arschloch«, sagt die Wiesner
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