Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
der alten Brauner passt, wäre er dort zu finden, verkündet er deren Sohn. Ob sie dahinter die Frau putzmunter antreffen werden, ist hoffentlich mehr als ein Wunsch. Viel Zeit ist vergangen, seit die alte Dame aus dem Altenheim verschwunden ist. Vielleicht zu viel.
P ünktlich zum Zwölfuhrläuten der Sankt Gertrudkirche ist der Sandner wieder im Harthof. Hoffentlich hat es den Vinzent aufgeweckt, falls die Glockentöne genügend Durchschlagkraft besäßen.
Diesmalwird ihm gleich die Tür aufgemacht. Der Mann ist offensichtlich nüchtern und hellwach. In Trainingshose und weißem Feinripp-Unterhemd steht er im Türrahmen. Zum Bad scheint ihn sein Weg noch nicht geführt zu haben. Die Haare zerzaust, die fahlen Wangen bartstoppelig, schaut er dem Sandner fragend ins Antlitz.
»Servus, Vinzent, erinnerst dich an mich?«, fragt der seinen Zechbruder.
»Freilich, was machst denn du hier?« Viel Besuch scheint er nicht zu bekommen.
»Darf ich reinkommen?«
Der Mann gibt die Tür frei und schlappt dem Sandner voran durch einen holzgetäfelten Flur in die Stube. Das Erste, was dem Polizisten auffällt, sind die Plastiküberzüge. Beinahe alle Möbelstücke sind umhüllt oder verpackt wie eine Installation vom Künstler Christo. Ein Sessel ist frei. Auf dem lässt sich sein Gastgeber nieder. Er beschreibt mit ausgestrecktem Arm einen Halbkreis.
»Des Häuserl hab ich vor fünfundzwanzig Jahren von meinen Eltern geerbt. Und wenn du mit den Sachen ordentlich umgehst, halten dir die ewig. In das neue Glump bauen sie immer Fehler ein, dass es schneller kaputtgeht. Hast du das gewusst?«
Der Sandner ist auf Zeitreise. Zurück in die Achtziger. Eine große, walnussfurnierte Wohnwand, ein glänzend polierter Tisch nebst Kurbel, um ihn automatisch zu verbreitern, und die Couchgarnitur, braun mit orangen Querstreifen. Der Polizist setzt sich auf einen folierten Sessel und beginnt automatisch, die Plastikfalten glatt zu streichen.
»Auch a Halbe?«, will sein Gastgeber wissen und springt wieder auf. Kein Sitzfleisch. So nutzt du die Möbel nicht ab, höchstens die weinrot gemusterte Auslegware. Der Sandner verneint mit Hinweis auf die Leber. Während der Vinzent sich trollt um sein Bier, vertieft sich sein Gast in die Bilder an der Wand. Das wird der kleine Vinzent sein, vor dem Haus mit der Mutter. Schwarze Turmfrisur trägt sie zum Dirndl und er Lederhosn und Haferlschuh. Daneben noch einmal der Zwerg in geblümter Badehose mit den Eltern am Bootssteg an irgendeinem mutmaßlich bayrischen Gewässer. Im Hintergrund das Bergmassiv als steinerner Wächter über das Familienglück.
Wie der Vinzent samt Bierflasche wieder erscheint, schildert ihm der Sandner den Verlust seiner Jacke. »Ich hab gedacht, vielleicht hast du was gesehen.«
Der Mann schüttelt den Kopf und nimmt erst einmal einen tiefen Schluck. »Da geht’s zu, des ist nimmer feierlich. Lauter Baraber. Umbracht ist einer worden, der Yilmaz – hast du des scho gehört?«
Der Sandner nickt. »Der Yilmaz soll doch ein Spezl vom Wessold gewesen sein, hat mir wer gesagt.«
»Schad ist es um den jedenfalls ned. Gestern is der noch beim Ansi gehockt.«
Beide versinken kurz in Schweigen. Die Bierflasche verliert rapide an Inhalt.
»Wenn du da aufwachsen darfst, das ist nicht immer leicht, für jeden«, sagt der Sandner schließlich. Aufwachsen ist noch nie leicht für jeden gewesen. Besonders für die »Geldigen« nicht.
»Ich möcht ned noch amal jung sein«, bestätigt ihm der Vinzent.
»Nein – ich auch nicht.« Gemeinsames Kopfschütteln über die Unbill der Jugend.
»Ich denk grad an den Kleinen vom Fuhrer. Und dann noch ohne Vater. Könntest fast drauf warten, dass der ...«
»Na, der kommt ned unter die Räder. Da schauen der Ansi und sei Oide, die Rita, drauf.«
»Ah so?«
»Seit dem Fuhrer sei Frau wieder arbeitet, ist der oft bei der Rita, wie so a Findelkind. Die kümmert sich, weil die Fuhrerin auch am Wochenende schafft. Im Billardcafé, glaub ich. Und der Ansi ist meistens allein in seim Laden. Sein Weib is zwar der schönere Anblick, verstehst scho, fürs Auge«, kurzes Zwinkern vom Vinzent, »aber des Bier schmeckt genauso. Das ist ein edler Zug, wo es der Kloane so schwer hat.«
»Die Schwangerschaft wird ein Fressen für den Wessold gewesen sein.«
»Kannst du dir vorstellen. Ob denn der Fuhrer der Vater wär – bei so einer Hur. Vielleicht hat es ihn auch gestört, dass er gar nicht landen konnte bei der Fuhrerin.«
»Hat er des
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