Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Auto schräg an der Bushaltestelle vom Max-Weber-Platz stehen. Knapp dahinter der Polo des Perisic. Sie wird bald auf gleicher Höhe sein.
Scheiße, das wird knapp. Gnadenlos steigt sie auf die Bremse und schert rechts aus, was ihr wütendes Hupen ihres Hintermannes einbringt. Im Vorbeifahren zeigt er ihr den Mittelfinger. Ein uraltes Männlein mit Trachtenhut, das Gesicht fünf Zentimeter hinter der Windschutzscheibe. Rechthaberei und schlechtes Benehmen kennen keine Altersbegrenzung. Der Kasperl sollte froh sein, dass der Finger noch so beweglich ist.
Die Polizisten haben den Flüchtigen derweil aus der Schrottkarre gezerrt und zu Boden geworfen. Der massige Sheriff kniet auf seinem Kreuz, während er ihn mit Handschellen fesselt. Der zweite Uniformierte sichert mit der Hand am Pistolengriff. Nur keinen Unsinn jetzt. Sie will ihren Zeugen nicht vom Pflaster kratzen. Wobei das Klinikum rechts der Isar fußläufig erreichbar wäre. Von Perisic kommt glücklicherweise keine Gegenwehr. Er wird ohne Befund abgetastet. Alles gemäß Handbuch.
Die Wiesner bringt das Auto hinter ihnen zum Stehen. Sie reißt die Tür auf und sprintet zum Geschehen.
»Ein alter Bekannter«, schnauft der Sheriff. Die beiden Uniformierten wuchten den Mann in die Höhe und reißen ihm die Jacke über die Arme nach hinten. Als verschnürtes Päckchen wird er ihr übergeben. Die Wiesner hält ihm ihren Ausweis vor das Gesicht.
»Hab ich doch nicht gewusst«, schreit der Perisic, »hab gedacht, ein Überfall!«
Das bringt ihm von den Polizisten ein wütendes Schnauben ein. Sie rütteln an seinen Schultern.
»Schon klar«, meint die Ermittlerin. Passanten äugen vom Gehsteig neugierig zu ihnen herüber. Ein Manschgerl mit brauner Cordhose und Nickelbrille fängt an, mit seinem Handy zu filmen. Vielleicht ein Aktivist gegen Polizeiwillkür. Die Wiesner schenkt ihm ein Grinsen. Den juckenden Mittelfinger ignoriert sie mit Mühe. Eine Frau mit zwei vorwärtszerrenden Sprösslingen an der Hand tritt näher hinzu. Alternative zum Tierpark. Immer und überall sollten die Schrazen einen lebenspraktischen Input erfahren. Jede Pädagogik-Koryphäe würde jubilieren. Die Mutter hatte ein Recht darauf, dass ihren Kindern die Situation anschaulich kindgerecht geschildert wird – und bitte keine Gewalt. Einer der Kleinen bohrt sich gelangweilt in der Nase und schmiert sich das schleimige Ergebnis an den Esprit-Pulli. Klassischer Rotzlöffel. Keine Action mehr.
Die Wiesner nimmt ihr menschliches Paket zur Seite.
»Herr Perisic, ich bin von der Mordkommission. Wir beide setzen uns jetzt in mein Auto und unterhalten uns. Ich werde Sie nicht auf der Dienststelle vernehmen müssen, wenn Sie mitspielen.« Der Mann wirft den Uniformierten einen zweifelnden Blick zu. Dann nickt er. Wahl hat er keine.
»Ich werde Sie auch nicht verhaften müssen. Das hängt von Ihnen ab. Aber Ihre Eier können Sie fürs Erste vergessen, wenn Sie in meinem Wagen randalieren – soweit klar?«
Die drei Männer schauen überrascht. Ein anerkennendes Nicken kommt vom Sheriff. »Du machst keine Schwierigkeiten, hörst du?«, fügt er an, seine wulstigen Lippen dicht am Ohr des Mannes.
Auf den Beifahrersitz hat sie den Mann platziert. Er darf die Handschellen weiterhin tragen. Sicher ist sicher.
Die beiden Uniformierten schnüren um das Auto wie die Füchse um den Hühnerstall.
»Herr Perisic, mich interessiert nicht, was Sie grad treiben. Mich interessiert nicht, warum Sie abgehauen sind oder ob Sie Dreck am Stecken haben. Ich will etwas anderes wissen.«
Der Mann starrt durch die Windschutzscheibe. Unbewegliche Miene. Er kann sie nicht täuschen. Jede Faser in ihm ist angespannt bis zum Zerreißen. Seine Beine sind in stetiger Bewegung. Im Auto breitet sich ein Gemisch aus Schweiß und Tabak aus.
»Vor zwei Jahren haben Sie eine Anzeige wegen Körperverletzung gegen einen Bülent Yilmaz gestellt und die nach drei Tagen wieder zurückgezogen. Warum?«
Der Mann legt die Stirn in Falten. Einen Moment braucht er, um sich zu konzentrieren. »Lange her, weiß nicht mehr.«
Mit seinem Mangel an Erinnerungsvermögen ist er nicht allein. Scheint ein generelles Phänomen zu sein, besonders bei Entscheidungsträgern. Die bräuchten einen Vormund, wenn das Hirn dermaßen löchrig daherkommt. Aber ob wichtige Machtkreatur oder Schmalspurganove: Das Motiv ist immer das gleiche. Auch beim Perisic – Hauptsache, keine Scherereien. Oder hat die Angst in seinem Nacken schon die Klauen
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