Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Brustkrebs. Dem Sandner fällt auf, dass wie beim Wessold auch beim Hofer Peter die Mutter weggestorben ist. Ob jenen leichter das Herz auseinandergeflogen ist als den Vätern, die sich immer noch an die Flasche klammern können? Vielleicht schaffst du dich auch auf, wirst immer weniger, wie ein Stückerl Kernseife, an der sich jeder den Schmutz abreibt, bis außer Brösel nichts mehr übrig ist.
Zum Gefängnis kommst du in einer halben Stunde. Im Auto geht es die Fahrt über hoch her. Theorien, Hypothesen, der Zeitdruck nagt an den Nerven. Von »den Scheißdreck hinwerfen« bis »jeden verhaften« ist alles im Gepäck. Die Eingangskontrolle lassen die beiden routiniert über sich ergehen, die Wiesner hat die passenden Papiere dabei. Es ist derselbe Raum. Die gleiche Enge, das gleiche Gefühl beschleicht die Polizistin. Sie hat es schon gespürt, als die Mauer in Sicht kam – sie hat es erwartet. Aber sie hat sich gewappnet.
Der junge Mann, der ihnen gegenübersitzt, wirkt fast noch wie ein Kind. Der könnte sich mit dem Frotteehandtuch rasieren. Das rotblonde Haar ergänzt den zarten Eindruck. Nur Stirnrunzeln und schattige Augenränder zeigen, dass er nicht im Kinderzimmer haust. Das Futter scheint kalorienreich, jedenfalls ist der Bursche massig wie ein Sumoringer. Nur die Muskeln nicht entsprechend, das Hauptgewicht trägt der Bauch spazieren. Klassisches Hendlgrab.
»Grüß Gott«, sagt er höflich.
»Guten Tag«, sagt die Wiesner. Der Sandner nickt nur.
»Wir sind hier, weil wir ein paar Fragen haben zum Thema Wessold.«
»Wessold?« Seine Schnute wird trotzig. Der Bub macht auf Ganovenehre. Als wäre er bei der Cosa Nostra. Dem Sandner kommt ein Schmunzeln aus.
»Wollen wir ein bisserl über die Mama reden?«
Der Junge reißt kurz die Glubscher auf, dann verschränkt er die Arme über der Wampe. Er zuckt mit den Schultern. Der Trotz in den Augen weicht der Unsicherheit. Die Pupillen tanzen Boogie.
»Von mir aus.«
»Also gestorben ist sie vor einem halben Jahr. Waren Sie auf der Beerdigung?«
Wortloses Nicken.
»War es eine schöne Leich?«
»Schön? Wie so was halt so ist. Pfarrer und blabla. Was wollen Sie?«
»Ihrem Vater geht’s nicht so gut, seit Ihre Mutter tot ist – und Sie hier.«
»Kann sein.« Die Arme pressen sich noch enger an den Körper. Als hätte er eine unsichtbare Zwangsjacke verpasst bekommen.
»Ihre Mutter – was hat sie gesagt, nach Ihrem Urteil? Hat sie geweint?«
Der Junge fährt hoch. »Was soll der Scheiß!«
»Ihre Mutter war eine Freundin von Frau Fuhrer?«
Er stützt den Kopf in die Hände. »Kann sein.«
»Schauen’S mich an – Frau Fuhrer hat viel mit ihr besprochen.«
Er ruckt wieder hoch. »Was weiß ich, was Weiber halt so reden. Ja, die waren fast jeden Tag zusammengehockt, und?«
»Und Sie haben viel mit dem Wessold besprochen.«
Schweigen.
»Aber über den Zahnarzt hätte der besser die Goschen gehalten – wäre gesünder gewesen.«
»Ach was, so dramatisch war das auch nicht. War ja wahr. Kann ja keiner ahnen, dass der Fuhrer so austickt. Mann!«
»Sie haben die Geschicht mit den Zähnen zu Hause gehört, von Ihrer Mutter. Oder ein Gespräch belauscht.«
»Ach was, gelauscht. Gelabert haben die beiden darüber, immer wieder. Na und? Was soll’s? War kein Verbrechen.«
»Es geht um kein Verbrechen – nur um unsere Neugier. Die Frau Fuhrer ist nach dem Mord auch bei Ihrer Mutter gewesen, so wie früher.«
»Anfangs nicht, dann schon wieder. Ist das jetzt alles?«
Die Wiesner mischt sich ein. »Ihre Freundin, was macht die?«
Der Sandner wirft ihr einen schnellen Seitenblick zu, dann wird seine Miene unbeweglich. Worauf seine Kollegin hinauswill, ist ihm ein Rätsel.
Die Wiesner hat den Goldklumpen vom Hartinger dabei. Der muss nur noch poliert werden, bis er glänzt. Ganz alleine sein Verdienst. Wie der Rotschopf die Stadelheimer Besucherliste des Peter Hofer erhalten hat, ist ihm ein Name sofort ins Auge gesprungen. Der ist längst in seinem Filofax gestanden. Zufälle schreibst du anders.
»Meine Freundin?«, fragt der Inhaftierte ungläubig nach.
»Ja, die Tamara, die laut Liste erst vorgestern zu Besuch war. Die ist ziemlich oft hier bei Ihnen. Das ist doch Ihre Freundin?«
»Fragen’S sie doch selber.«
»Werden wir, keine Sorge. Wird gerade erledigt. Aber ich weiß, was sie vor zwei Monaten gemacht hat. Zwei Wochen Friseurpraktikum beim Friseurstudio ›Arabella‹ in Pasing.«
»Tolle Info. Ihr Bullen seit schon
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