Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
Geschworenen, die gegen mich erhobene Anklage lässt sich nicht aufrechterhalten. Wenn ich meinem Freund einen Schlag auf die Stirn und einen noch heftigeren auf den Hinterkopf versetzt hätte – wo sind die dazu benutzten Waffen? Auch nach gründlicher Suche konnte dem Gericht keine der beiden Waffen vorgelegt werden. Wenn man mir unterstellt, ich sei meinem Freund in mörderischer Absicht gefolgt – wie hätte ich hoffen können, einen größeren, kräftigeren und zudem bewaffneten Mann zu überwältigen? Weshalb hätte ich es tun sollen? Bisher wurde kein Motiv angeführt. Dass man keine Spur von einem im Wald lauernden Fremden fand, bedeutet nicht, dass es einen solchen nicht gab; er wäre wohl kaum am Tatort geblieben. Ich spreche unter Eid und kann nur schwören, dass ich mit dem Mord an Captain Martin Denny nichts zu tun habe. Ich lege mein Schicksal voller Zuversicht in die Hände meines Landes.«
Im Saal war es still. Alveston flüsterte Darcy zu: »Das war nicht gut.«
»Weshalb?«, fragte Darcy leise. »Ich hätte gedacht, dass er sich wacker geschlagen hat. Die wichtigsten Argumente wurden klar benannt – keinerlei Hinweis auf einen heftigen Streit, keine Waffen, die Unsinnigkeit, den Freund in mörderischer Absicht zu verfolgen, das Fehlen eines Motivs. Was soll er falsch gemacht haben?«
»Das ist schwer zu erklären, aber ich habe schon viele Verteidigungsreden gehört und befürchte, dass er mit dieser sein Ziel nicht erreichen wird. Ihrem sorgfältigen Aufbau zum Trotz fehlte ihr das nötige Feuer einer Unschuldsbeteuerung. Die Art des Vortrags, die fehlende Leidenschaft, die Gründlichkeit, mit der er alles ansprach. Er hat sich nicht schuldig bekannt, aber er fühlt sich nicht unschuldig. Und Geschworene spüren das – fragen Sie mich nicht, warum. Er mag an diesem Mord nicht schuld sein, doch schuldbeladen ist er.«
»Das sind wir alle zuweilen – es gehört nun einmal zum Menschen, sich schuldig zu fühlen. Jedenfalls müssen den Geschworenen einige Zweifel bleiben. Für mich hätte seine Rede ausgereicht.«
»Ich hoffe, dass sie auch den Geschworenen ausgereicht hat, aber sehr zuversichtlich bin ich nicht.«
»Und wenn er betrunken war?«
»Er behauptet, zum Zeitpunkt des Mordes betrunken gewesen zu sein, doch er war nicht zu betrunken, um vor dem Gasthof ohne Hilfe in die Kutsche zu steigen. Diesem Punkt wurde in der Zeugenbefragung nicht nachgegangen, doch meiner Ansicht nach ist der Grad seines Betrunkenseins zum Zeitpunkt des Mordes anfechtbar.«
Während der Verteidigungsrede hatte Darcy versucht, sich auf Wickham zu konzentrieren; jetzt widerstand er nicht länger der Versuchung, zu Mrs. Younge hinüberzusehen. Dass ihre Blicke sich treffen würden, stand nicht zu befürchten, denn ihre Augen waren nur auf Wickham gerichtet. Hin und wieder bewegte sie die Lippen, als würde sie dem Vortrag eines von ihr selbst verfassten Textes lauschen oder schweigend beten. Als Darcy wieder zur Anklagebank blickte, starrte Wickham vor sich hin; dann wandte er sich dem Richter zu, der nun den Geschworenen seine Anweisungen mitzuteilen begann.
9
R ichter Moberley, der sich keine Notizen gemacht hatte, lehnte sich ein wenig zu den Geschworenen hin, als ginge die Sache den Rest des Gerichts nichts an, und die schöne Stimme, die Darcy schon zu Beginn gefesselt hatte, ertönte so laut, dass alle Anwesenden sie hörten. Ohne Umschweife, aber so bedächtig, als spielte die Zeit keine Rolle, fasste er die Zeugenaussagen zusammen. Seine Schlussworte ließen Darcys Gefühl nach die Verteidigung in einem glaubwürdigen Licht erscheinen, und seine Zuversicht wuchs.
»Meine Herren Geschworenen, Sie haben sich geduldig und offenbar sehr aufmerksam die während dieses langen Prozesses gemachten Zeugenaussagen angehört. Nun ist es an Ihnen, über diese Aussagen zu befinden und Ihr Urteil zu fällen. Der Angeklagte war früher Berufssoldat und stand im Ruf bemerkenswerter Tapferkeit, für die er mit einem Orden ausgezeichnet wurde. Dies soll Ihre Entscheidung jedoch nicht beeinflussen. Ihr Urteil muss sich auf die vorgebrachten Zeugenaussagen gründen. Sie tragen eine große Verantwortung, aber ich weiß, dass Sie Ihre Pflicht unvoreingenommen und in Übereinstimmung mit dem Recht erfüllen werden.
Das große Rätsel – wenn ich es so bezeichnen darf –, mit dem wir es in diesem Fall zu tun haben, ist die Frage, warum Captain Denny in den Wald lief, obwohl er sicher und bequem in der Kutsche
Weitere Kostenlose Bücher