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Der Tod meiner Mutter

Der Tod meiner Mutter

Titel: Der Tod meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Diez
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und mit der anderen Hand unter die Knie, ich habe sie angehoben und nach hinten geschoben, was leichter war, als ich
     dachte, und schwerer, wie immer. Ich rede mit ihr, leise Worte, nur der Klang, während sie nicht weiß, ob sie sich schämen
     soll, weil sie wie ein Kind gefüttert wird, oder ob sie es geschehen lassen soll, weil es ihr Kind ist, das sie füttert. Ob
     sie es sogar ein wenig genießen kann.
    Diese Nähe, die im Ende wohnt. Sie isst ein wenig Suppe, sie schluckt, es scheint mir, dass sie mehr isst als sonst. Sie ist
     schwach, aber sie ist da. Sie konzentriert sich darauf, nichts zu verschütten, so wie ich mich darauf konzentriere, nicht
     mit dem Löffel zu wackeln.
    Es ist ein kleiner Löffel.
    Sie hält das Kinn etwas gesenkt.
    »Es ist gut«, sagt sie, »danke.«
    »Noch ein bisschen?«
    »Schorsch.«
    »Ich will ja nur, dass du isst.«
    »Ich esse doch.«
    Warum auch streiten? Ganz sanft sinkt sie wieder zurück in die Kissen. Sie hatdie Beine angezogen. Sie hat nichts von den Pralinen gegessen, natürlich nicht. Ich habe sie mitgebracht, damit ich ihr Pralinen
     mitbringen konnte, obwohl ich wusste, dass sie sie nicht isst. Pralinen aus ihrem Viertel, ein Stück ihres alten Lebens, ihres
     guten Lebens.
    »Soll ich noch ein bisschen dableiben?«
    »Musst du nicht.«
    »Kann ich aber.«
    Es ist früher Abend, gegen sieben, ich will nicht auf die Uhr schauen, ich habe es schon eine Weile vermieden, auf die Uhr
     zu schauen, es scheint so verletzend. Etwas drängt mich zu bleiben, etwas drängt mich zu gehen. Ich bleibe sitzen und schaue
     sie an und versuche, in ihrem Gesicht etwas zu finden, ich weiß nicht was. Ich weiß nicht, was ich suche.
    Man will das dehnen, die Zeit, man will sie zwingen, diese brutale Macht, diesen zärtlichen Kompagnon, Zeit, die man hat,
     Zeit, die bleibt. Ich weiß nicht, wie das für sie ist, ob sie die Zeit genauso empfindet wie ich; ich weiß, dass sie die Zeit,
     im größeren Sinn jedenfalls, ganz anders berührt, dass sie schon, wenn man so will, in einem anderen Takt lebt.
    »Ich fahre dann morgen nach Berlin zurück.«
    »Schön. Grüß mir die rosa Prinzessin.«
    »Das mache ich.«
    »Pass gut auf sie auf.«
    »Ja.«
    Der Fluss ist schwarze Ruhe.
    »Wir kommen nächste Woche.«
    »Schön«, sagt sie und lächelt ihr Lächeln ohne Wiederkehr.
    »Also«, sage ich.
    Ich ziehe meinen Mantel an, meinen Schal, sehr langsam, jede Geste ist seltsam klar und bewusst, ich wickele mir den Schal
     um den Hals; hat sie ein Seidentuch um den Hals?
    »Elfi ist morgen da. Morgen kommst du nach Hause. Sie wird bei dir sein, ja?«
    Sie sagt jetzt nichts. Ich stehe an ihrem Bett, lege meine Hand auf ihren Arm. Der ist warm.
    »Tschüss.«
    »Ciao«, sagt sie, ein letztes Wort, ein Wort wie ein Lächeln, vor allem, wenn man es so sagt wie meine Mutter und das c genießerisch
     breit drückt, das i kurz berührt, das a gleich zweimal oder dreimal überspringt, das o möglichst lange oben hält.
    Ciao.

    Draußen dann Erleichterung und Einsamkeit. Durch den Park ging ich zur Straße, und jeden Schritt ging ich einzeln. Ich steckte
     meine Hände tief in die Taschen des Mantels, und ich sagte mir dabei, dass ich gerade die Hände tief in die Taschen des Mantels
     steckte. Kann man traurig sein, ohne sich selbst dabei zu beobachten?
    An der Straße, an der Ecke standen zwei Taxis.
    »Bitte in die Osteria San Michele.«
    »In die Osteria San Michele?«
    »In Berg am Laim.«
    »Ein guter Italiener?«
    Der Taxifahrer schaute mich im Rückspiegel an.
    »Ich hoffe schon.«
    Ich schaute aus dem Fenster und wartete, dass er losfuhr.
    »Sind Sie sicher? Nicht in Laim?«
    »In der Baumkirchner Straße.«
    »Ich kenne mich eigentlich ganz gut aus. Und von der Osteria San Michele habe ich noch nie gehört.«
    Normalerweise hätte das schon gereicht. Ich sah mir den Mann von hinten an. Ich sah nur seinen Vollbart. Seine Stimme war
     tief, ein wenig münchnerisch.
    Etwas versöhnte mich.
    Wir fuhren über die Isar und bogen links ab.
    »Da ist auch ein sehr guter Italiener. Die Bayernspieler gehen da hin. Der Fisch ist hervorragend.«
    »Ja.«
    »Teuer natürlich. Ich war mit meiner Frau einmal dort, 500 Mark haben wir bezahlt. Aber das war es wert.«
    Ich sah von hinten wieder nur den Bart.
    »Ich koche auch gern. Ich hab mir extra einen Schein für die Großmarkthalle besorgt. Da gibt es den frischesten Fisch.«
    »Und was für Fisch kaufen Sie da so?«
    »Heute habe ich zum Beispiel Loup

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