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Der Tod meiner Schwester

Der Tod meiner Schwester

Titel: Der Tod meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
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Daddy überredete sie, mich gewähren zu lassen, solange ich nur die hässliche orangefarbene Schwimmweste trug. Es war Montag und vom Andrang des Wochenendes auf dem Kanal nichts mehr zu sehen. Ich fuhr mit dem Boot bis zur Mündung in die Bucht. Breit und einladend erstreckte sich vor mir das Wasser, und ich wäre zu gerne hinausgefahren, nur ein kleines bisschen, doch ich wagte es nicht. Stattdessen kehrte ich in einem weiten Bogen um und steuerte auf das Dock zwischen den farbigen Anglern und der Hahnenhütte zu.
    Als ich in das unvertraute Dock hineingefahren war, stoppte ich den Motor. Zu meiner Linken befand sich eine kurze Leiter, und ich machte das Boot an einer der Sprossen fest. Dann zog ich die Schwimmweste aus und kletterte hinauf. Die farbigen Angler machten mich nervös. Ich sah sie nicht an, doch ich fühlte, wie ihre Blicke mir folgten, als ich mich zwischen dem Zaun und den Rohrkolben der Hütte näherte. Schließlich stieß ich auf einen schmalen Pfad, der in dem hohen Gras freigeschlagen worden war. Ihm folgte ich bis zur vorderen Veranda der baufälligen kleinen Hütte.
    “Wer bist du?”
    Ich fuhr zusammen, als ich die Stimme hörte, denn ich konnte den Mann durch die Fliegengittertür seiner Veranda nicht sehen.
    “Ich wollte nur einmal sehen, wo der Hahn wohnt”, sagte ich.
    Die Fliegengittertür öffnete sich ein paar Zentimeter, und ein Mann stand auf der Schwelle. Er trug einen struppigen, langen Bart und hatte einen schmutzigen alten Hut auf dem Kopf. Die frühe Abendsonne schien ihm ins Gesicht, und er blinzelte, sodass seine Augen wie zwei blassblaue kleine Perlen aussahen und er ein bisschen dämonisch wirkte.
Das Geheimnis der Hexer-Hütte
, dachte ich insgeheim. Der Titel gefiel mir. Vielleicht würde ich mich daranmachen, mein eigenes Buch zu schreiben.
    “Wo wohnst du?”, fragte er.
    Ich drehte mich um und deutete auf unseren Bungalow, den man durch das Schilf kaum sehen konnte. Er wirkte sehr weit entfernt.
    “Bist du mit dem Boot herübergekommen?”
    “Ja.”
    “Allein?”
    “Ja”, erwiderte ich, und wandte mich zum Gehen um. “Und ich fahre mal lieber wieder zurück.”
    “Was wolltest du mit meinem Hahn machen?”, wollte er wissen.
    “Oh, nichts”, erwiderte ich. “Ich würde ihm nicht wehtun. Ich wollte nur sehen, wo er lebt.”
    Er zog die Tür ein Stück weiter auf. “Genau hier.”
    Ich konnte an ihm vorbei auf die Veranda sehen, wo ein Hahn und ein paar Hennen wie aufgezogene Spielzeuge herumtrippelten. Ich trat einen Schritt zurück und fragte mich, ob die Schuhe des Mannes nicht mit dem Schmutz seiner gefiederten Haustiere bedeckt waren.
    “Danke, dass Sie ihn mir gezeigt haben”, sagte ich.
    “Es gibt hier ein paar Menschen, die meinem Hahn gerne den Hals umdrehen würden”, erklärte er und klang dabei ein wenig misstrauisch.
    “Ich nicht”, gab ich zurück. “Noch einmal danke, dass ich ihn sehen durfte.” Ich wandte mich um und lief so schnell ich konnte durch das hohe Gras. Vermutlich brauchte ich nur dreißig Sekunden, bis ich das Dock erreicht hatte, doch in dieser kurzen Zeit hatte ich schon zwei oder drei Geschichten über den Mann erfunden. In dem klapprigen alten Haus hielt er Kinder in Schränken gefangen. Er hatte seine Frau ermordet und ihre Leiche unter der Veranda begraben. Als ich die Leiter wieder hinabklettern wollte, blinkte etwas in dem flach getretenen Gras am Dock. Ich ging hinüber und fand eine Sonnenbrille, die ich aufhob. Vielleicht gehörte sie der Frau, die der alte Mann umgebracht hatte. Wer weiß? Ich würde sie für den Fall des Falles meiner Beweissammlung unter dem Bett zufügen.
    An jenem Abend gingen Grandpop und ich bis ans Ende unserer staubigen Straße. Solange ich mich erinnern kann, hatte er in dem hohen Gras, das mich einen halben Meter überragte, immer einen Pfad freigetrampelt. Dem folgten wir, und ich genoss das Gefühl, von Graswänden umgeben zu sein. Libellen schwirrten um uns herum. Da wir uns mit Insektenschutzmittel eingerieben hatten, ließen uns die Mücken in Ruhe. Der Pfad mündete in einem sumpfigen Bereich mit einem stehenden Gewässer, das durch eine kleine Öffnung in der Spundwand mit dem Kanal verbunden war. Wie immer hatte Grandpop seine Käfigfalle hier im seichten Wasser ausgelegt und sie an einen Stock in dem weichen sandigen Boden zwischen dem Gras angebunden. Ich holte die Falle raus. Sie war voller grün-grauer Killifische, die sich auf dem Drahtgeflecht wanden und zuckten.

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