Der Tod meiner Schwester
zuckte.
“Scharf!”, rief Ethan zurück. Er nahm einen blauen Eimer und kam zu uns herüber.
“Aber du musst ihn vom Haken nehmen”, verlangte ich.
“Okay.” Das schien Ethan nicht zu stören. Er nahm einen Lappen, den ich zwischen die Zaunmaschen geklemmt hatte, griff damit nach dem Fisch und löste den Haken mit einer Leichtigkeit, die ich nur bewundern konnte. Er strahlte mich an, als hätte ich ihm einen Schokoriegel gegeben. “Danke!” Er warf den Fisch in seinen Eimer und ging zurück in seinen Garten.
Grandpop und ich angelten weiter. Allerdings waren wir müde vom Stehen, weshalb wir uns zwei Deckchairs an den Zaun zogen und uns hinsetzten. Ich stemmte meine nackten Füße gegen den Zaun und machte es mir gemütlich. Ich fühlte mich völlig im Reinen mit der Welt.
“Sieht so aus, als wären wir auf der falschen Seite des Kanals”, bemerkte Grandpop nach einer Weile.
“Was meinst du damit?” Ich folgte seinem Blick zu den Schwarzen, die dort drüben auf der anderen Seite angelten.
“Ich habe sie gerade ein paar Netze an Land ziehen sehen”, erklärte er.
“Ach, wahrscheinlich fangen sie auch nur Kugelfische”, erwiderte ich. “Dad sagt, dass die Schwarzen sie essen, weil sie es nicht besser wissen.”
Mein Großvater starrte unbewegt geradeaus und sagte eine Weile nichts. “Das sagt Charles also?”, fragte er schließlich.
Ich nickte. “Er sagt, sie sind nicht so klug wie wir. Und sie sind arm, weshalb sie essen müssen, was sie bekommen.”
Es entstand eine lange Pause, die ich nicht als ungewöhnlich erkannte, bis Großvater sich wieder zu Wort meldete.
“Ist dir jemals der Gedanke gekommen, dass, selbst wenn sie Kugelfisch essen – was ich bezweifele –, dies vielleicht daran liegt, dass sie
klüger
sind als wir? Vielleicht wissen sie, wie man den giftigen Teil herausschneidet. Vielleicht sind wir ja die Dummen”, gab er zu bedenken.
In seiner Stimme lag ein Ernst, den er selten an den Tag legte. “Ich glaube nicht, dass Dad dem zustimmen würde”, vermutete ich.
“Weißt du eigentlich, dass ich in Mississippi lebte, bis ich so alt war wie du?”, kam Grandpop auf ein anderes Thema zu sprechen.
“Ich dachte, du wärst in Westfield aufgewachsen”, wunderte ich mich.
“Ich bin erst mit vierzehn nach New Jersey gekommen”, erzählte er. “Als ich ein Junge war, lebten wir bei der Familie meiner Mutter in Mississippi. Wir hatten eine Haushälterin, die wiederum einen Sohn in meinem Alter hatte. Wir waren die besten Freunde. Er hieß Willie und war schwarz.”
“Dein bester Freund?”, fragte ich erstaunt. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. Ich hatte noch nie mit einem Schwarzen gesprochen.
Grandpop nickte lächelnd. “Willie und ich hatten viel Spaß zusammen. Wie wohnten nahe an einem See, und wir angelten und schwammen und erkundeten die Umgebung. Wegen der Rassentrennung durfte er allerdings nicht auf meine Schule gehen.”
Ich nickte. Ich wusste, was Rassentrennung bedeutete, auch wenn man in Westfield praktisch nichts damit zu tun hatte, weil hier jeder weiß war.
“Seine Schule war viel schlechter als meine”, fuhr Grandpop fort. “Willie war genauso klug wie ich – in manchen Dingen sogar klüger –, doch er hatte keine Chance. Und jetzt kommt das Schlimmste.” Er schüttelte den Kopf, und ich beugte mich in meinem Stuhl weiter vor, um jedes Wort von diesem “Schlimmsten” mitzubekommen.
“Einmal gingen er und ich in die Stadt in der Nähe von unserer Siedlung. Wir waren erst acht oder neun und wollten Süßigkeiten kaufen. Doch Schwarze waren im Laden nicht erlaubt.”
“Das ist nicht gerecht”, empörte ich mich.
“Natürlich ist das nicht gerecht”, stimmte Grandpop zu. “Also ging ich in den Laden, ein Gemischtwarenladen, so nannte man das damals. Und ich kaufte für ein paar Cent eine Tüte mit Süßigkeiten und nahm sie mit hinaus, wo Willie und ich uns auf den Bordstein setzten und anfingen zu essen. Dann musste er ganz dringend auf die Toilette. Der Laden hatte hinten ein Toilettenhäuschen. Doch auf einem Schild stand: ‘Keine Schwarzen’, sodass Willie es nicht benutzen durfte. Ich ging in den Laden und fragte die Lady, ob sie eine Ausnahme machen würde, weil er doch nur ein Kind war und wirklich nötig musste, doch sie wollte es nicht erlauben. Wir gingen in einen anderen Laden, doch auch die wollten uns ihre Toilette nicht benutzen lassen. Es endete damit, dass er sich in die Hosen pinkelte.”
“Oh”,
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