Der Tod meiner Schwester
ich vor einem Konzert nichts essen mag.”
Wenn ich mich nicht zu Wort gemeldet hätte, hätte sich Shannon vermutlich mit ihrer Mutter gestritten wegen des Zwischenstopps, doch so gab sie nach.
“Westfield Diner?”, schlug Julie vor, als sie die Wagentür öffnete.
“Sicher”, bestätigte ich. “Shannon, willst du nach vorne?” Ich deutete auf den Beifahrersitz.
“Hinten ist okay”, murmelte sie kaum hörbar. Ich begriff, dass sie entweder eingeschnappt war oder Angst hatte, dass ich ihre Situation beim Eisessen ansprechen könnte, was ich tatsächlich vorhatte.
Wir machten es uns in einer der Nischen im Diner bequem. Shannon setzte sich neben mich, sodass ihre Mutter die leichte Rundung ihres Bauches nicht sehen konnte.
“Wie läuft die Arbeit?”, fragte ich sie.
Sie nickte. “Gut.” Sie studierte die Karte, um meinem Blick auszuweichen.
“Spielst du noch immer Cello im Krankenhaus?”, fragte ich weiter.
“Ja”, gab sie zurück. “Ich war gestern dort. Ich habe Nana gesehen.”
“Cool”, freute ich mich. Wir alle arbeiteten ehrenamtlich im Krankenhaus. Ich übersetzte für spanischsprachige Patienten, Mom arbeitete im Geschenke-Shop, Julie machte Krankenbesuche, um ihnen vorzulesen oder ihnen einfach Gesellschaft zu leisten, und Shannon spielte in den Gängen Cello. Wir hatten eine lange ehrenamtliche Tradition in unserer Familie.
“Was soll ich mit deiner Post machen, Liebes?”, erkundigte sich Julie. “Du wirst im Sommer vermutlich viel Material von Oberlin bekommen.”
Jetzt hatte Shannon Gelegenheit, es ihrer Mutter zu sagen, dachte ich. Unter dem Tisch tätschelte ich aufmunternd ihr Knie, doch sie zog ihr Bein weg, und ich spürte ihre Ablehnung. Da wusste ich, dass das Gespräch, das ich mir für sie beide wünschte, heute nicht stattfinden würde.
“Sammle sie bitte einfach in einer Tüte”, sagte Shannon, ohne eine von uns beiden anzusehen. “Ich hole sie, wenn ich vorbeikomme.”
“Okay.” Julie blätterte in ihrer Karte nach den Desserts. “Und wenn etwas wichtig aussieht, lasse ich es dich wissen. Du wirst vermutlich in ein paar Wochen erfahren, wer deine Mitbewohnerin sein wird. Ich glaube, du solltest noch im Sommer Kontakt mit ihr aufnehmen, um zu erfahren, was sie alles mit ins Apartment bringt und so.”
Halt die Klappe, Julie
, dachte ich.
“Hm-hm.” Shannon studierte die Karte, als ob sie sie nicht längst auswendig kannte.
Julie und ich bestellten Eisbecher und Shannon eine kleine Portion Schokoladeneis. Dann ging Julie zur Toilette.
Ich rutschte auf der Bank etwas von Shannon weg, um ihr ins Gesicht zu sehen.
“Wie geht es dir wirklich?”
“Gut”, erwiderte sie. “Alles ist gut.”
“Bei deinem Dad zu wohnen ist okay?”
Sie verdrehte die Augen. “Ich hätte ebenso gut bei Mom bleiben können. Sie ruft mich ungefähr zehnmal am Tag an.”
“Warum sagst du ihr das jetzt nicht mit dem Baby?”, schnitt ich das heikle Thema an. “In meiner Anwesenheit. Ich kann dabei helfen, sie zu beruhigen.”
“Dräng
mich nicht, Lucy”, sträubte sie sich. “Lass mich das nach meinem eigenen Plan machen, ja?”
“Und wie sieht dein Plan aus?” Ich konnte mich nicht beherrschen.
“Weiß ich nicht”, presste sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
“Okay.” Ich gab es auf. “Tut mir leid.”
“Danke”, sagte sie, als hätte ich sie im Würgegriff gehalten und schließlich freigegeben.
“Kannst du mir … wie war noch mal sein Name? Tanner?”
Sie nickte und sah mich fragend an.
“Kannst du mir die Adresse seiner Website geben?”
“Warum?”
“Damit ich sie mir ansehen kann”, erklärte ich und fügte hinzu: “Aus der Perspektive einer ehemaligen Geschichtslehrerin.”
“Willst du ihm schreiben oder so etwas?” Sie blickte mich argwöhnisch an.
Ich schüttelte den Kopf. “Nein.”
Sie zögerte. “Schwörst du, dass du es nicht tust?”
“Du hast mein Wort. Ich will nur … du weißt schon, ich möchte etwas über diesen Menschen erfahren, der so wichtig ist in deinem Leben. Ich will nur seine Website sehen, das ist alles.” Mir kam es so vor, als ob ich schuldbewusst klang, so als ob ich tatsächlich vorhätte, ihn zu kontaktieren – was ich nicht wollte –, doch Shannon riss ein Stück von ihrer Serviette ab, holte einen Stift aus der Tasche und schrieb mir die Adresse auf. Ich steckte den Schnipsel in meine Hosentasche. “Danke.”
“Die Seite ist wirklich cool”, schwärmte sie, und ihr Blick wurde
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