Der Tod meiner Schwester
begann ich, als wir den ersten Bissen genommen hatten, “wie geht es dir denn so?”
“Klasse.” Sie zog einen großen Zwiebelring aus ihrem Sandwich und steckte ihn in den Mund. Offenbar litt sie nicht an Verdauungsbeschwerden. “Ich war bei der Ärztin, und sie sagt, es geht mir gut”, fügte sie hinzu.
“Schön”, erwiderte ich, auch wenn mir fünf Millionen andere Dinge auf der Zunge lagen. Ich wollte wissen, wer ihre Ärztin war und was genau das Wort “gut” zu bedeuten hatte, hielt es aber für besser, mit meinen Fragen erst nach und nach herauszurücken. Ich schwieg, während wir zusahen, wie sich auf dem Bildschirm Monica und Rachel über irgendetwas stritten – keine Ahnung, worüber. Es war mir egal.
“Wie ist der aktuelle Stand zwischen dir und Tanner?”, fragte ich, als ich mein Sandwich halb aufgegessen hatte und fand, dass seit meiner letzten Frage genug Zeit verstrichen war.
“Er kommt in anderthalb Wochen hierher”, antwortete sie. “Dann wollen wir über unsere Pläne sprechen.” Sie klappte ihr Sandwich auf, zog einen weiteren Zwiebelring heraus und steckte ihn sich in den Mund. “Ich liebe Zwiebeln. Ist das nicht völlig verrückt?”
“Ich erinnere mich, dass deine Mutter während der Schwangerschaft auf Sandwiches mit Erdnussbutter und Kartoffelchips stand”, fiel mir ein. “Sie aß sie ständig.”
“Oh.” Shannon verzog das Gesicht. “Vielleicht stimmt
deswegen
etwas nicht mit mir. Weil sie die ganze Zeit Müll aß, als sie mit mir schwanger war.”
Ich zupfte an einer Strähne ihres dicken Haares. “Mit dir ist alles in Ordnung, Kleines”, sagte ich sanft. “Du bist perfekt.”
Mit einem Lächeln sah sie mich an. “Ich kann es kaum erwarten, dass du Tanner kennenlernst, Lucy.”
“Ich freue mich darauf”, log ich ein bisschen. “Ich schätze, du hast es deinem Vater noch nicht gesagt, oder?” Dass sie es Julie noch nicht gesagt hatte, dessen war ich mir sicher. Ich hätte davon gehört.
Sie schüttelte den Kopf. “Es ist solch eine Erleichterung, bei ihm zu wohnen, Lucy”, schwärmte sie. “Wirklich. Er lässt mich einfach tun, was ich möchte. Ich muss ihn nicht alle zwei Sekunden anrufen, um ihm zu sagen, wo ich bin und dass ich noch lebe.”
Sie klang gemein, doch ich wusste, dass sie das nicht beabsichtigte. Sie verstand Julie nur einfach nicht so, wie ich das tat.
“Ich wünschte, du würdest deine Mutter besser kennen”, sagte ich.
“Was meinst du?” Sie sah mich mit großen Augen an. “Wer kennt sie besser als ich? Ich habe mein ganzes Leben mit ihr verbracht.”
“Ja, aber du kanntest sie nicht vor deiner Geburt, und das ist die Zeit, die sie … die sie geprägt hat. Es ist schwer für dich, das zu verstehen –”
“Ich verstehe das völlig”, entgegnete sie. “Sie glaubt, dass sie vor tausend Jahren, als sie kaum den Windeln entwachsen war, ihre Schwester hereingelegt und damit ihren Tod verursacht hat, und jetzt hat sie Angst vor allem. Angst davor, Menschen zu verlieren.
Mich
zu verlieren.” Sie stellte ihren Teller auf dem Couchtisch ab, das Thema hatte ihr offenbar den Appetit verdorben. “Ich brauche
Abstand
von ihr, Lucy. Sie erstickt mich.”
“Das ist normal”, fand ich. “Du brauchst deine Unabhängigkeit. Du bist bereit, das Nest zu verlassen.”
“Warum machst du es mir dann so schwer?”
“Sosehr du dich auch von deiner Mutter befreien willst, ist sie doch immer noch deine Mutter und verantwortlich für dich, und du hast die
Pflicht
, ihr von deiner Schwangerschaft zu erzählen.”
“Ich sage es ihr, wenn es nicht mehr anders geht”, trotzte sie.
Ich dachte an all das, womit Julie gerade fertig werden musste: Neds Brief, die Befragung bei der Polizei, die Sorgen, dass unsere Mutter in die Untersuchung hineingezogen wurde, Shannons Auszug. Es war ein denkbar schlechter Zeitpunkt, um ihr noch etwas zuzumuten, doch diese spezielle Sache konnte eben nicht warten.
Inzwischen lief im Fernsehen eine andere Serie, und ich schaltete den Ton weg. “Ich möchte, dass du weißt, was gerade geschieht.”
“Wovon sprichst du?” Shannon blickte mich verwirrt an. “Was meinst du? Es geht doch nicht wieder um diesen Brief, oder?”
“Doch, genau darum geht es.” Ich erzählte ihr, dass Julie an die Küste gefahren war, um von der Polizei befragt zu werden, und dass sie bei Ethan wohnte, neben unserem alten Bungalow. “Beides ist sehr schwer für sie”, versuchte ich Shannon klarzumachen. “Das Geschehene
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