Der Tod meiner Schwester
von Neds Brief. Er sah … Gott, er sah schrecklich aus, Julie. Völlig geschockt. Sein Gesicht war ganz … völlig in sich zusammengefallen. Ich sagte ihm, dass ich Ned nicht für schuldig hielt, und er begann zu schreien … nicht wirklich zu schreien, doch er sagte, er wüsste besser als jeder andere, dass Ned es nicht getan hätte, weil er in jener Nacht mit Ned zusammen gewesen wäre, wie er es auch der Polizei geschildert hätte. Und dann sagte er: ‘Ich hoffe, du hast mit dem Brief nichts angestellt. Wir sollten ihn verbrennen.’“
Ich zuckte zusammen. “Oh, Ethan”, warf ich ein.
“Ich sagte ihm, dass ich ihn zur Polizei gebracht hätte und sie mit dir und mir gesprochen hätten und dass sie den Fall neu aufrollen und vermutlich auch mit ihm sprechen wollten.” Die Worte klangen wieder so tonlos. Er wirkte müde.
“Wie hat er reagiert?”
Ethan seufzte. “Er stand auf und ging eine Zeit lang in der Küche herum. Er humpelte. Es bricht mir fast das Herz, sehen zu müssen, wie sehr er seit dem Tod meiner Mutter gealtert ist. Er sagte, es sei unfair, weil Ned sich nicht mehr verteidigen könne. Er fragte mich immer wieder, warum ich den Brief zur Polizei gebracht hätte. ‘Warum hattest du das Bedürfnis, ihn mitzunehmen?’, fragte er immer wieder. Ich sagte ihm, dass ich das hätte tun
müssen
, weil es das einzig Angemessene war.”
“Natürlich”, murmelte ich, um mich selbst zu beruhigen, dass es richtig gewesen war, selbst wenn die Behörden sogar mich als Verdächtige in Betracht zogen.
“Ich weiß, dass er es schließlich auch so sehen wird”, fuhr Ethan fort. “Er hatte immer einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Wusste, was Recht und was Unrecht war. Schließlich setzte er sich hin und sagte, er wünschte zwar, ich hätte es nicht getan, doch er könne es verstehen. Er hatte Tränen in den Augen, und als ich ihn nach dem Grund fragte, sagte er, dass er an George Lewis und seine Familie denken müsse. Er sah aus, als würde er … ich weiß nicht. Als würde er in Ohnmacht fallen oder so etwas. Es war, als würde ich ihn umbringen, Julie.”
Die Art, wie er meinen Namen aussprach, ließ mich ihm nahe fühlen. Ich wünschte mir, er säße neben mir und ich könnte ihn umarmen.
“Schließlich meinte er, ich hätte das Richtige getan, und er würde gerne mit der Polizei sprechen, weil er die einzige Stimme sei, die Ned noch hätte. Er hat Angst, dass Ned am Ende auf jeden Fall als schuldig dasteht, egal was er sagt.”
“Es tut mir leid, dass es so schwer war”, sagte ich. “Für euch beide.”
“Danke. Ich bin erleichtert, dass er es jetzt weiß. Dass er es von mir und nicht von der Polizei gehört hat. Wann willst du es deiner Mutter sagen?”
“Heute”, antwortete ich, denn ich wusste, dass ich es nicht länger aufschieben durfte. “Ich muss es hinter mich bringen.”
“Möchtest du, dass ich hochkomme? Ich könnte bei dir sein, wenn du es ihr sagst.”
Ich lächelte bei dem Angebot. Es war eine Versuchung, denn ich wollte ihn wiedersehen. Doch ich wusste, dass ich diese Sache allein erledigen musste.
“Danke, ich bin schon in Ordnung”, lehnte ich ab. “Ich lass dich wissen, wie es gelaufen ist.”
Sobald ich das Gespräch mit Ethan beendet hatte, ging ich die zwei Blocks zum Haus meiner Mutter. Ich fand sie im Garten, wo sie blaue Hortensien für einen Strauß abschnitt. Sie sah überrascht auf, als sie mich bemerkte. Ich kam nicht oft unangekündigt vorbei.
“Julie!”, rief sie und richtete sich auf. Die Hortensien in ihrer linken Hand bildeten einen riesigen hellblauen Ball. “Was machst du hier?”
“Ich möchte gern mit dir reden. Aber wie wär’s, wenn ich dir zuerst mit den Hortensien helfe?” Ich griff nach den Blumen in ihrer Hand, die sie jedoch fortzog.
“Irgendwas stimmt nicht”, vermutete sie und musterte mein Gesicht. Ich wusste, dass meine Sonnenbrille nicht dunkel genug war, um meine Augen zu verbergen, und sie schien aus meinem Gesicht die Sorge ablesen zu können. “Ist etwas mit Shannon?” Sie schien den Atem anzuhalten, während sie auf meine Antwort wartete.
“Nein, es geht ihr gut”, versicherte ich ihr. “Allen geht es gut.” Ich legte ihr die Hand auf den Rücken und deutete in Richtung Terrasse. “Wie wäre es, wenn wir uns setzen?”, schlug ich vor.
“Oh, es ist also eine ‘Wir setzen uns besser’-Sache, oder?”, bemerkte sie und ging mit mir zur Terrasse. Sie schien viel langsamer zu gehen als ich. War das
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