Der Tod soll auf euch kommen
mindestens einen Tag bis dorthin.«
»Die Abtei befindet sich dort, wo das Gebiet des Volkes der Corco Duibhne beginnt«, fügte Fidelma hinzu. »Um hinzugelangen, muß man das Territorium der Uí Fidgente durchqueren.«
»Gehören die Corco Duibhne zum Königreich deines Bruders?«
»Ihr Kleinkönig Slébéne erkennt die Oberherrschaft von Cashel an. Doch das Volk ist wild und unabhängig und betet immer noch zu einer heidnischen Göttin mit Namen Duinech, die angeblich seine Mutter ist. Es heißt, sie hätte siebenmal ihre Jugend wiedergewonnen. Auf diese Weise wurde sie die Mutter der vielen weitverstreuten Stämme der Múscraige. Die Abtei von Colmán liegt am Rande von Slébénes Land, das von einem bösen Kriegsherrn der Uí Fidgente überwacht wird. Er soll von sich behaupten, der Herr der Bergpässe zu sein. Ich halte es für besser, das Kleinkönigreich von Slébéne zu meiden.«
Bruder Madagan nickte zustimmend. Eadulf war offenbar recht erstaunt über das, was Fidelma gesagt hatte.
»Sein Königreich ist nicht gerade christlich zu nennen«, fuhr sie fort. »Das Land besteht aus einer langgestreckten Halbinsel, es ist bergig und unwegsam, und Slébénes Sitzliegt ganz abgeschieden am Ende der Halbinsel. Nur wenige wagen sich dorthin. Es heißt, dieser Ort sei böse.«
Eadulf lächelte beklommen. »Ich glaube, ich habe inzwischen genug Erfahrung im Umgang mit Nichtchristen, ich hege also keine großen Bedenken. Ob nun Christen oder nicht, nur wegen eines anderen Glaubens sind die Menschen nicht gleich alle anders. Als ich in Rom war, sah ich ein Stück, das hieß
Asinaria
. Dessen Quintessenz bestand darin, daß Stolz und Habsucht Ursache für alle menschlichen Übel sind, nicht die Religion. Die Menschen verhalten sich wie Wölfe zueinander.«
»Lupus est homo homini«
, murmelte Fidelma bitter. »Doch der Autor des Stücks, Titus Plautus, hat da etwas Wichtiges verwechselt – die Wölfe greifen sich nicht gegenseitig an. Nur Menschen tun das ohne jeden Grund.« Dann erhob sie sich auf einmal. »Wir würden nun gern den Anführer der Pilgergruppe sprechen, Bruder Madagan.«
Offenbar waren die Pilger gerade beim Gebet in der Kapelle, in der sich die Reliquien des heiligen Ailbe befanden. Der Verwalter schlug seinen Gästen daher vor, in seiner Zelle zu warten, während er Bruder Buite holte.
»Sie beten in der Kapelle? Hast du keine Bedenken, wenn ein Leprakranker sich frei in deiner Abtei bewegt?« fragte Eadulf verwundert.
Bruder Madagan sah ihn erstaunt an.
»Wie kommst du darauf, daß einer der Pilger Lepra hat?«
»In der Pilgergruppe soll sich einer befinden, der klein wie ein Kind aussieht und eine Lepraglocke läutet. Ist er etwa nicht dabei?« fragte Fidelma.
Bruder Madagan schüttelte den Kopf. »Ein Leprakranker ist nicht unter ihnen.«
Nachdenklich blickte Fidelma zu Eadulf. Dann zuckte sie die Schultern und wandte sich wieder an Bruder Madagan.
»Hören wir, was Bruder Buite zu sagen hat.«
Fidelma und Eadulf saßen eine Weile schweigend da. Fidelma lehnte sich bequem auf ihrem Stuhl zurück. Nur das rhythmische Klopfen ihrer Finger verriet ihre Unruhe. Seit langer Zeit waren sie nun zum erstenmal allein.
»Irgendwann müssen wir miteinander reden«, sagte Eadulf schließlich.
Fidelma schloß kurz die Augen. Eadulf erwartete einen Wutausbruch.
»Worüber?« fragte sie sehr ruhig.
»Über uns. Es gibt so viel Unausgesprochenes.«
Sie drehte sich zu ihm. Er war überrascht, ein trauriges Lächeln wahrzunehmen. »Du hast recht, Eadulf. Seit unserer Rückkehr aus Rath Raithlen ist viel unausgesprochen geblieben. Das ist mein Fehler. Aber hab noch ein wenig Geduld. Jetzt brauche ich deine Stärke. Wir unterhalten uns bald. Das verspreche ich.«
Eadulf blickte ins Feuer und schwieg.
Fidelma war ihm dankbar für sein Feingefühl. Sie verspürte ohnehin Schuld, nicht nur weil ihr Kind entführt worden war, sondern weil sie in den letzten Monaten ihre Beziehung zu Eadulf in Frage gestellt hatte. Seit der Geburt des kleinen Alchú war sie fortwährend in gedrückter Stimmung gewesen. Sie hatte sich viel Zeit mit der Entscheidung gelassen, Eadulfs
ben charrthach,
seine Ehefrau für ein Jahr und einen Tag, zu werden.
Lange hatte Fidelma versucht, sich gegen Eadulfs Zuneigung zu wehren. Seit ihrer unglücklichen Beziehung mit demKrieger Cian hatte sie geglaubt, sie würde sich nie wieder dem Leid und den Qualen der Liebe aussetzen. Doch als sie dann zum erstenmal auf der Synode von
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