Der Tod soll auf euch kommen
Brehon Dathal fuhr ihr über den Mund.
»Es soll ein unvoreingenommener Zeuge sprechen. Du bist mit diesem Sachsen verheiratet, daher würdest du zu seinen Gunsten aussagen.«
»Ich glaube, es ging um religiöse Meinungsverschiedenheiten«, sagte der Mönch. »Sie tauschten harte Worte aus, und ich weiß, daß der Bischof beide Male hinterher sehr aufgebracht war und dann sogar äußerte, daß Cashel ärmer sei seit der Heirat der Schwester des Königs mit einem …«
»Das kann ich mir nicht länger mit anhören!« brauste Fidelma auf.
Brehon Dathal sah sie mißbilligend an.
»Ich habe schon gesagt, daß deine Anwesenheit hier nicht nötig ist. Du darfst gehen und Bruder Eadulf ausrichten, daß er sich bereithalten soll, mir ein paar Fragen zu beantworten.«
Finguine sah sie mitfühlend an, als sie den Raum verließ. Er hörte, wie Conchobar um Erlaubnis bat, Bischof Petráns Leiche zu entfernen, um sie in seinen Räumen ordnungsgemäß untersuchen zu können.
Als Fidelma in ihre Gemächer zurückkehrte, war Eadulf nicht da. Sie eilte den grauen Steingang entlang, versuchte aber, nicht zu rennen. Als sie den Hof überquerte, entdeckte sie Caol, der ein Pferd abrieb.
»Caol, hast du meinen Mann gesehen?« fragte sie ihn etwas außer Atem.
Der Krieger lächelte sie an, als er sich aufrichtete. Er hatte einen Striegel in der Hand.
»Ja, es ist noch nicht lange her. Ich hatte gerade sein Pferd abgerieben, als er wieder damit losritt.«
Sie starrte ihn an.
»Wieder losritt?«
Der Krieger nickte. »Es war früh am Morgen, nach dem Frühstück, als er mir mitteilte, daß er ausreiten wolle. Ich glaube, er wollte zu Conchoille, dem Holzfäller. Dann kehrte er zurück, anscheinend ganz in Eile, und bat mich, sein Pferd für einen neuen Ritt fertigzumachen. Er verschwand kurz, kehrte mit einer vollen Satteltasche zurück und war auch schon auf und davon.«
Fidelma war so erstaunt, daß sie regungslos dastand. »Mit einer vollen Satteltasche?«
»Es sah aus, als hätte er eine weite Reise vor.«
»Hast du gesehen, in welcher Richtung er Cashel verlassen hat?«
»Nein. Ich habe gerade mein Pferd gestriegelt.« Er zeigte auf das Pferd, mit dem er beschäftigt war.
Fidelma blieb noch eine Weile stehen, ehe sie wieder in dieBurg zurückeilte. Nun sah sie sich genauer in ihren Gemächern um. Auf ihrem Kopfkissen lag eine Nachricht, und zwar so, daß sie sie auf Anhieb hätte entdecken müssen. Sie stammte von Eadulf.
Ich konnte nicht warten. Ich habe eine Spur, die meines Erachtens so wichtig ist, daß ich ihr nachgehen muß. Ich reite zur Abtei von Colmán im Westen. Ich bin vielleicht mehrere Tage fort.
Sie mußte sich setzen, stützte den Kopf auf und stöhnte laut.
Den Rest des Tages über schossen Fidelma viele verwirrende Gedanken durch den Kopf. Nun machte sie sich nicht nur Sorgen um Alchú, sondern auch um Eadulf. Sie ertappte sich sogar bei der Frage, ob Eadulf wirklich einer Spur folgte oder nicht Brehon Dathal recht hatte mit seinen Verdächtigungen und er geflohen war? Sie hatte Eadulfs zorniges Wortgefecht mit dem alten Petrán miterlebt. Und sie hatte ihn überhaupt bei mehreren Gelegenheiten ungewöhnlich aufbrausend kennengelernt. Hatte er etwas mit dem Tod des alten Bischofs zu tun? Warum war er ausgerechnet jetzt aus Cashel verschwunden?
Als Brehon Dathal in ihren Gemächern erschien, um Eadulf und sie zu verhören, hatte sie ihm Eadulfs Brief gezeigt. Darauf hatten die Augen des Richters triumphierend aufgeleuchtet. Sie wußte genau, was er dachte. Der alte Brehon war mit den Worten gegangen, daß er nach Eadulf suchen lassen werde. Das ließ nur eine Schlußfolgerung zu: Brehon Dathal glaubte an Eadulfs Schuld. Daraufhin hatte sie ihren Bruder aufgesucht, der die Angelegenheit nun mit Finguine besprach.
Colgú sah seine Schwester voller Mitgefühl an.
»Ich kann die Anordnungen eines Brehon nicht außer Kraft setzen. Fidelma, das weißt du sehr gut.«
»Brehon Dathal hätte Bruder Conchobars Bericht abwarten sollen, ehe er sich so auf Giftmord versteift«, sagte nun Finguine.
»Warum ist Bruder Conchobar noch nicht fertig mit der Untersuchung der Leiche?« fragte Fidelma wütend.
»Bruder Conchobar ist soeben nach Lios Mhór gerufen worden, um dort zu helfen. Die Lebenden benötigen seine medizinischen Fähigkeiten ebenso wie die Toten«, erwiderte Colgú. »Er richtete seinem Assistenten aus, daß er mit der Leichenschau fertig sei, doch niemand scheint zu wissen, zu welchen
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