Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
unversehrt an den Geheimdienst zurückzugeben. Kurz darauf stellte er auch seinen jungen Patienten Ahmed unter Arrest. Dann berief Sawahiri ein Scharia-Gericht ein.
Viele Mitglieder von al-Dschihad und al-Qaida waren dagegen, Kinder vor Gericht zu stellen, weil dies ihrer Auffassung nach gegen den Islam verstieß. Sawahiri ordnete an, die Jungen nackt auszuziehen, um festzustellen, ob sie bereits in der Pubertät seien, was sich bestätigte. Die hilflosen Jungen gestanden alles. Das Gericht verurteilte sie wegen Unzucht, Verrat und versuchten Mordes.
Sawahiri ließ die Jungen erschießen. Um sicherzustellen, dass das Urteil überall verstanden würde, ließ er ihre Geständnisse und ihre Hinrichtung auf Video aufnehmen und verteilte die Kassetten als Warnung für andere potenzielle Verräter.
Als al-Turabi und seine Leute von der Exekution erfuhren, reagierten sie erzürnt. Die sudanesische Regierung warf al-Dschihad vor, sich „wie ein Staat im Staate“aufzuführen, und verwies Sawahiri und seine Organisation unverzüglich des Landes. 15 Sie erhielten nicht einmal genügend Zeit, um ihre Sachen zu packen. „Wir haben nur die Scharia Gottes angewandt“, rechtfertigte sich Sawahiri. „Wenn wir sie nicht für uns selbst gelten lassen, wie können wir sie dann auf andere anwenden?“
Al-Dschihad siedelte größtenteils nach Afghanistan über, einige Mitglieder gingen nach Jordanien, andere in den Jemen. Viele trennten sich von der Organisation, entsetzt über die kaltblütige Hinrichtung der beiden Jungen. Unter der Führung Sawahiris zerfiel al-Dschihad in mehrere zornige und heimatlose Banden. Die Organisation hatte schließlich nur noch knapp 100 Mitglieder 16 , von denen viele noch versuchten, ihre Familien und ihre Habseligkeiten aus Khartoum herauszuholen. „Die Zeiten sind schlecht“, räumte Sawahiri im Jemen ein, wo er Zuflucht gesucht hatte. 17 Einigen Gefolgsleuten vertraute er an, dass er ein Magengeschwür bekommen habe.
Seine desillusionierten Anhänger dachten in dieser Zeit oft an die Aussage jenes Mannes, den Sawahiri verraten hatte, Major Essam al-Kamari, der gesagt hatte, dass Sawahiri eine wichtige Eigenschaft fehle. Kamari hatte ihm auch seinerzeit entgegengehalten: „Wenn du Mitglied einer Gruppe bist, kannst du nicht deren Führer sein.“Das klang jetzt wie eine Prophezeiung.
Außer der Rückendeckung durch Bin Laden hatte Sawahiri nicht mehr viel aufzubieten. Er war entschlossen, gegen die ägyptischen Behörden rasch zurückzuschlagen, um seinen Ruf zu retten und die Reste seiner Organisation zusammenzuhalten. Seine Ansichten hatten sich grundlegend gewandelt. Während er als junger Mann noch die Revolution abgelehnt hatte, weil sie mit zu viel Blutvergießen verbunden war, glaubte er jetzt, dass nur die Gewalt den Lauf der Geschichte verändern könne. Indem er den Feind angriff, wollte er eine neue Wirklichkeit schaffen. Seine Strategie zielte jetzt darauf, das ägyptische Regime so weit zu provozieren, dass seine repressiven Züge noch deutlicher zutage traten und in der Bevölkerung der Hass auf die Regierung wuchs. Dies gelang ihm zwar, aber dennoch wandten sich die Ägypter nicht ihm und seiner Bewegung zu. Vielmehr versanken sie noch tiefer in Elend, Enttäuschung und Verzweiflung. Doch in dem Spiel, das Sawahiri begonnen hatte, kam der Rache eine entscheidende Bedeutung zu, eigentlich drehte es sich ausschließlich um Rache und Vergeltung.
DIE ERSTEN AKTIONEN bestimmen häufig den späteren Gang der Ereignisse. Am 19. November 1995, dem 18. Jahrestag der Reise Sadats nach Jerusalem, verübten Sawahiris Männer einen Bombenanschlag auf die ägyptische Botschaft in Islamabad, der Hauptstadt Pakistans. 18 Obwohl es sich um eine Aktion von al-Dschihad handelte, wurde sie zum Prototypen aller künftigen Anschläge von al-Qaida, was die Auswahl des Ziels und die Art seiner Zerstörung betraf. Maßgeblichen Anteil an dieser Aktion hatte ein Ägypter namens Abu Khabab, ein Taxifahrer, der Chemie studiert und sich zum Bombenbauer weitergebildet hatte. 19 Er entwickelte eine neuartige durchschlagende Bombe. Zwei Männer näherten sich dem Botschaftsgebäude; einer von ihnen trug eine Aktentasche voller Waffen bei sich. Er warf ein paar Granaten, um die Wachleute in die Flucht zu treiben. Dann raste ein Kleintransporter, der mit 100 Kilogramm Sprengstoff beladen war, in das Gebäude. Der Fahrer zündete die Bombe, und das Botschaftsgebäude stürzte zusammen. Viele weitere
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