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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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hinterlassen hatte, den sie bisher übersehen hatten. Der alte Mann auf der Treppe, der ihnen den Weg versperrte und dämlich hinterherschaute, als sie hinaufgingen. Auf der Piazza Unita hatten sie ihre Chance begriffen. Er hatte an einem Tisch gesessen und geraucht. Und an einem der letzten Abende hatte er Irina im »Nastro Azzurro« einen großen Schein zugesteckt. Sie durften ihn nicht mehr aus den Augen verlieren.
    In der Via Diaz war er wenig später in einem Palazzo verschwunden, und die Tür war vor ihren Nasen ins Schloß gefallen. Doch während sie noch ratlos die vielen Klingelschilder betrachteten und diskutierten, was nun zu unternehmen wäre, kam diese Frau vorbei, die ihre Sprache beherrschte und fragte, ob sie behilflich sein könnte. Dann war alles reibungslos gelaufen. Viel besser, als sie gedacht hatten.
    Jetzt war Irina in ihrer Hand. Sie hatten keine Eile damit, sie auszuquetschen. Heute würde sie sich noch mit aller Kraft wehren, trotz ihrer Foltermethoden. Sie würden sie sich morgen vorknöpfen oder übermorgen, wenn die engen Fesseln, der Spiegel und die Nacht sie weichgemacht hatten, wenn Durst und Hunger sich zu einem bohrenden Schmerz verwandelt hatten. Dann würde sie schon von selber auspacken. Und wenn der Boß kommen sollte, um nach dem Rechten zu sehen, dann könnten die beiden Typen ihm zugleich zeigen, wie tüchtig sie waren.
    *
    Proteo Laurenti stieß einen leisen Pfiff aus, als Canovella seine Aufzeichnungen und den Bericht Galvanos in den Aktendeckel zurücklegte und sagte: »Galvano ist ein Teufelskerl. Er ist verrückt. Ich sehe oder höre ihn fast jeden Tag, und er sagt kein Wort darüber. Er spielt sich als Privatdetektiv auf und bringt sich unnötig in Gefahr.«
    »Was hat er eigentlich gegen dich? Er bestand hartnäckig darauf, daß du nichts erfahren sollst, und nahm mir sogar einen Schwur ab.«
    »Er langweilt sich.«
    »Was machen wir jetzt?« fragte Canovella. »Meine Streifenwagen fahren regelmäßig bei ihm vorbei. Wenn wir bloß wüßten, wo diese Taubstumme abgeblieben ist.«
    »Es gibt nur einen Weg. Irina ist nicht die einzige, die in den Lokalen der Stadt bettelt. Wir müssen die anderen finden, und wir brauchen eine Übersetzerin. Es gibt eine, die für das Gericht arbeitet.«
    »Und was machen wir mit Galvano?« fragte Canovella.
    »Ich schlage vor, wir beobachten ihn und du hältst mit ihm Kontakt. Es ist besser, er erfährt nichts davon, daß du mich eingeweiht hast, sonst wird er nur bockig. Vielleicht sollten wir sein Telefon überwachen. Man weiß nie. Ich spreche mit dem Staatsanwalt.« Laurenti stand auf. »Übrigens habe ich eine Beamtin vor Galvanos Haus abgestellt. Sie sagte, daß noch eine andere Frau dort herumspioniert. Gehört sie zu euch?«
    Canovella schüttelte den Kopf. »Nein. Wer ist sie?«
    »Wir werden es erfahren.«
    Während Laurenti ins Büro zurückfuhr, rief er Sgubin an, der zu Hause vor dem Fernseher saß und alles andere als glücklich war, die Stimme seines Herrn zu vernehmen. Er sollte sogleich Pina ablösen, die Laurenti im Kommissariat brauchte. Und auch Marietta versaute er den Abend. Sie antwortete erst nach dem zehnten Klingeln, und sagte dann schnippisch, es dauere mindestens eine halbe Stunde vom Strand von Liburnia bis in die Stadt. Dem diensthabenden Leiter des Streifendienstes gab er die Personenbeschreibung Irinas durch und den Befehl, die taubstummen jungen Leute, die die Kneipen abklapperten, in die Questura zu bringen. Es war kurz vor dreiundzwanzig Uhr, als er die Treppen zu seinem Büro hinaufstürmte und als erstes Staatsanwalt Scoglio anrief. Der Mann war tatsächlich noch am Schreibtisch, es stimmte also, daß er auch nachts arbeitete. Nach Laurentis detaillierten Schilderungen, die er sich schweigend anhörte, stimmte er der Telefonüberwachung Galvanos zu. Er wollte sich auch um die Übersetzerin kümmern, die sie zur Vernehmung der Taubstummen brauchten. Und am Schluß des Gesprächs sagte der Staatsanwalt, daß er auf einen Sprung in die Questura kommen würde.

Nacht
    Branka war der Frau vom Taxi zum Haus gefolgt, hatte sie hineingestoßen und ihr den Mund zugehalten.
    »Wo ist Ihre Wohnung?« fragte sie.
    Mit vor Angst aufgerissenen Augen deutete die Frau auf eine Tür im ersten Stock.
    Branka zog die Automatik aus dem Halfter und hielt sie ihr an den Kopf. »Kein Mucks. Sind Sie alleine?«
    Die Frau, die heute schon mehr als in ihrem ganzen Leben bisher erlebt hatte, nickte

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