Der Tod wirft lange Schatten
hinausgefahren. Ein Kollege von der Guardia di Finanza hat sie zufällig gesehen. Die beiden haben ein Verhältnis.«
»Sgubin«, er zeigte mit dem Finger auf die DNA-Analyse, »hier steht, daß die Haare am Tatort und der Slip von ein und derselben Person stammen.« Laurenti bedauerte die Kollegen in Gorizia, die Sgubin in Kürze in verantwortlicher Position erdulden mußten. Aber die Nachricht über Mia und Calisto war interessant. Laurenti hatte die junge Frau gestern nachmittag auf ihren Begleiter angesprochen, und sie hatte von einer flüchtigen Bekanntschaft geredet. Eine Liebschaft ist doch nichts Verbotenes, auch wenn Calisto ein kleiner Gauner war. Warum hatte Mia damals die Anzeige gegen den Mann zurückgezogen? Die Australierin war alles andere als die Unschuld von einem anderen Erdteil, das stand fest. Aber wenn sie Laurenti zum Narren halten sollte, würde er zurückschlagen. Gott sei Dank war sie überhaupt nicht sein Typ.
Kaum waren Marietta und Sgubin aus dem Raum, betrat Galvano, wie immer ohne anzuklopfen, das Büro. Ein Polizist darf nicht in Ruhe nachdenken. Als Laurenti den schwarzen Hund streicheln wollte, zog Galvano ihn grob an der Leine zurück. »Ich brauch die Akte, Laurenti«, sagte er rüde. »Ich brauche sie gleich.«
»Sie platzen wieder einmal vor Freundlichkeit, Doc. Setzen Sie sich. Von welcher Akte ist die Rede?«
»Diego de Henriquez. Im Gerichtsarchiv hat man mir gesagt, daß sie bei dir ist.« Sein Blick hastete suchend durch Laurentis Büro. »Es eilt.«
»Weshalb?«
»Ich werde den Fall endlich aufklären. Überfällig, daß sich jemand damit befaßt, der unbestechlich ist und die Zeit damals genau kennt.«
»Galvano, es sind fast dreißig Jahre vergangen. Es hat keine Eile.«
»Ich bin nicht mehr der Jüngste, Laurenti, und ich habe etwas entdeckt, was bisher allen entgangen ist.«
»Sie machen mich neugierig.«
»Ich werde es dir nicht verraten. Du wirst davon erst erfahren, wenn ich alle Beweise wasserdicht beisammen habe. Dann kannst du zur Tat schreiten und die Leute festnehmen. Aber vielleicht gehe ich besser zu den Carabinieri. Auf die kann man sich wenigstens verlassen. Also, wo ist das Ding.«
Laurenti zog das zwanzig Zentimeter dicke Aktenbündel heran und legte sein Arme darauf. »Hier. Ich arbeite dran. Sie werden es umgehend erfahren, wenn ich damit durch bin.«
»Mach keinen Quatsch. Ich bin mitten an meinen Memoiren. Ohne das Zeug komme ich nicht weiter. Gib schon her.«
»Memoiren?« fragte Laurenti erstaunt. »Haben Sie schon damit begonnen? Das wird sicher ein Bestseller. Aber welche Rolle spielt Diego de Henriquez in Ihrem Buch?«
»Er ist eine Schlüsselfigur für die ganze Epoche. Vom ›Territorio Libero di Trieste‹ bis heute deckt er alles ab. So wie manche die Geschehnisse damals darstellen, war es leider nicht. Da sind noch viele Rechnungen offen. Was glaubst du wohl, warum man ihn ermordete? Er wußte zuviel. Viel zuviel. Nur weiß niemand außer dem alten Galvano, was er wußte. Also, gib mir endlich die Akte.«
»Und woher wissen Sie das, was kein anderer je erfuhr?« Laurenti glaubte ihm kein Wort. Seit man Galvano so häufig im Fernsehen und in der Zeitung interviewt hatte, zeigte der Alte einen noch ausgeprägteren Hang zu Übertreibungen als früher.
»Das verrate ich noch nicht. Aber was am Ende herauskommt, sage ich dir gerne jetzt schon. De Henriquez kannte die Namen der Kollaborateure. Das steht fest. Jeder, der will, könnte sie einsehen. 373 Notizbücher hat er vollgeschrieben, und seit ein paar Jahren sind sie der Öffentlichkeit zugänglich. Sagt dir die ›Aktion Odessa‹ etwas?«
Laurenti schüttelte den Kopf.
»Ein Hilfsbund der Nazis, um sich den Verhaftungen nach dem Krieg zu entziehen. Die Rattenlinie über den Vatikan, über die so viele entkommen sind. Mengele, Eichmann, Bormann und wie sie alle heißen. Nach Südamerika oder in den Nahen Osten oder nach Ägypten, wo sie später die Aufrüstung gegen Israel betrieben haben. Das waren nicht nur Deutsche. Viele fanden fürs erste in kroatischen Klöstern sichere Zuflucht. Die alten Ustascha, die kroatischen Nazis, haben sie dort untergebracht. Bis in die siebziger Jahre hinein hat das Ustascha-Netzwerk funktioniert und eng mit den Geheimdiensten zusammengearbeitet, auch mit den Amerikanern. Das Ziel war ein Umsturz in Jugoslawien, Tito sollte weg. Die Koordinationsbasis dafür war Triest. Hier waren verschiedene Personen darin verwickelt, die heute noch leben.
Weitere Kostenlose Bücher