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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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aber nicht um die Mädchen. In den chinesischen Geschäften, die sehr billig waren und nicht besonders frequentiert wurden, konnte sich auch Irina neu einkleiden. Das hatte Erfolg. Bedürftigkeit erzeugt kein Mitgefühl.
    Montags, wenn die Läden geschlossen und die Lokale schlecht besucht waren, konnte man in der Stadt kaum etwas verdienen. Dafür lohnte es sich, trotz dieser Hitze, die Kneipen und Badestrände am Lungomare abzuklappern, auch wenn die Schwarzen mit ihren Sonnenbrillen, Gürteln und anderem Zeug schon vor ihr unterwegs waren, um den mehr oder weniger nackten Damen ein paar gefälschte Dinge anzudrehen. Am besten aber lief es immer in den Außenbezirken, in einfachen Lokalen, die von Arbeitern besucht waren.
    Noch nie seit ihrer Ankunft im Westen war sie einem Menschen so nahe gekommen wie Galvano. Noch nie hatte sie einer ohne böse Absicht in eine Wohnung eingeladen. Vielleicht war dieser seltsame alte Mann der Grashalm, an den sie sich klammern konnte. Vielleicht würde er ihr helfen, der Hölle zu entkommen.
    *
    Also noch einmal der Fall Perusini. Laurenti starrte mißmutig auf den Aktendeckel. Zuletzt war der Vorgang 1995 geöffnet worden. Eine der Nichten erhielt den Anruf eines Unbekannten, der eine wichtige Information anzubieten hatte. Sie lud ihn in ihre Wohnung in Udine ein. Ein Mann Mitte Sechzig, weißes Haar, mittlere Gestalt, Friauler Akzent, drückte ihr ein Päckchen in die Hand und verschwand, bevor sie ihn nach seinem Namen fragen konnte. Es war eine Tonkassette mit einer Menge fast unverständlichem Gestammel darauf. Laurenti las die Abschrift, konnte sich aber keinen rechten Reim darauf machen. Der Mann erklärte umständlich, daß er es damals vor achtzehn Jahren nicht für ratsam befunden hatte, auszusagen, nachdem er der Zeitung entnommen hatte, daß das Erbe an das »Kreuz« ging, wie er den Malteserorden bezeichnete. Auf einer Hochzeit in Venedig habe er zufällig einen Mann kennengelernt, der so geheimnisvoll vom Weingut des Toten gesprochen habe, daß er davon Meldung machen wollte. Aber in Anbetracht seiner beruflichen Stellung hätte er dann doch nicht den Mut aufgebracht. Doch sei er nach wie vor davon überzeugt, daß es lohnte, diesen Mann zu vernehmen. Lange, umständliche Begründungen, dann die Personenbeschreibung, sogar den Namen nannte er. Laurenti blätterte weiter und fand ein kurzes Vernehmungsprotokoll des Beschuldigten, das die Kollegen in Venedig wohl ziemlich lustlos und ohne neue Erkenntnisse geführt hatten. Laurenti erinnerte sich blaß daran, daß vor ein paar Jahren die Sache in einer Besprechung erwähnt wurde. Hatte der Mann nicht gesagt, daß er eine Reaktion in der Presse abwarten wolle, bevor er sich noch einmal meldete? Er fand keine weiteren Aufzeichnungen darüber. So recht hatte sich zuletzt wohl keiner mehr für den Fall interessiert. Warum auch in alten Geschichten rühren? Es gibt immer einen guten Grund, einer Sache nicht allzusehr auf den Grund zu gehen. Und dieser Fall gehörte ebenso dazu wie der von Diego de Henriquez. Aber warum? Sicher nicht aus Ehrfurcht vor der Prominenz der Familie, wie manche behaupteten. Da hatte man schon ganz anderes erlebt. Für Laurenti stank die Sache zum Himmel. Sie roch nach Verschwörung.
    Sein Vorgänger hatte viel Energie in eine andere Richtung der Ermittlungen gesteckt – so wie dies anfänglich auch beim Fall de Henriquez geschehen war. Hunderte von Seiten Vernehmungsprotokolle blähten auch die Akte Perusini auf. Anonyme Hinweise sprachen von den homosexuellen Kontakten des Professors. Sie führten unter anderem zum Militärkrankenhaus, weil, einem anonymen Brief zufolge, ein Soldat, der den Mann gekannt hatte, plötzlich wie ein Irrer mit Geld um sich geworfen habe. Und dann waren da die Aufzeichnungen des Toten selbst. Er hatte ordentlich Buch über seine Geschlechtstätigkeit geführt. Fast jeden zweiten Tag hatte der 67-Jährige sich die Dienste junger Männer gekauft. Dabei gab es damals noch keine Potenzpillen. In Taschenkalendern waren säuberlich Namen und Spitznamen seiner Lustknaben aufgeführt. Es war, als hätte es damals unter den Wehrpflichtigen kaum Heterosexuelle gegeben. In den Verhören gaben sie frank und frei preis, welche Dienste sie für wieviel Geld erwiesen hatten. Auch wenn Geben und Nehmen zwei unterschiedliche Dinge sind, damals hatten einige mit dem Geben kein Problem, wenn sie ein paar tausend Lire dafür erhielten. Geld fehlte an allen Ecken, besonders den Rekruten

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