Der Todesflug der Cargo 03
beiden Schwimmkränen, wo innerhalb der nächsten Minuten das Wrack der Cargo 03 erscheinen musste, das so viele Jahre auf dem Grunde des Bergsees gelegen hatte. Niemand sprach. Nur das Maschinengeräusch der Kräne war zu hören. Trotz der vielen Wracks, die die Bergungsmannschaft im Laufe der Jahre aus Flüssen, Seen und dem offenen Meer gehoben hatte, hatte sich keine Routine eingestellt. Die Erregung, wenn ein Schlamm triefendes Wrack mit seinem unbekannten Inhalt an die Oberfläche kam, war immer die gleiche.
Immer noch schneite es. Admiral Bass erinnerte sich an den nächtlichen Schneesturm, bei dem die Cargo 03 vor vielen Jahren zu ihrem Unglücksflug gestartet war. Er dachte an das Gespräch mit dem Piloten Vylander, der wenig später abgestürzt war und dessen bleiche Gebeine in diesen Sekunden im Inneren des Wracks nach oben schwebten. Vorsichtig trat Bass näher ans Ufer heran. Er verspürte ein seltsam brennendes Gefühl, das von der Brust zur linken Schulter hin ausstrahlte. Dann färbte sich das graublaue Wasser zwischen den beiden Schwimmkränen schmutzigbraun, und der geschwungene Rumpf der Cargo 03 kam an die Oberfläche. Die einst silbrig schimmernde Aluminiumhaut war in den vierunddreißig Jahren unter Wasser zu einem bleiernen Grau geworden, auf dem sich die dunklen Linien verrotteter Schlingpflanzen abzeichneten, die die Kräne mit an die Oberfläche gezogen hatten. Lehmiges Wasser ergoss sich in einer breiten Kaskade aus dem riesigen Leck, während die Hebekräne ihre Last höher und höher in den trüben Winterhimmel hoben.
Die blaugelben Buchstaben, die man bei der Indienststellung der Maschine auf beide Seiten des Rumpfes gepinselt hatte, waren noch einwandfrei zu lesen. »MILITARY AlR TRANSPORT SERVICE« entzifferte Pitt. Wie ein Flugzeug sah der Schlick triefende Rumpf der Cargo 03 allerdings nicht mehr aus. Das Gebilde, das jetzt mit leichtem Schaukeln zwischen den beiden Hebekränen hing, glich mehr einem in Auflösung befindlichen Wal, dem Flossen und Schwanz gekappt worden waren. Wie blutige Eingeweide hingen die abgeschnittenen und labyrinthartig verdrehten Kontrollkabel, elektrischen Drähte und hydraulischen Leitungen aus der klaffenden Wunde des Lecks.
Abe Steiger war der erste, der zu sprechen begann. »Ich wette, das war der Grund für den Absturz«, sagte er und deutete auf das gezackte Loch zwischen Cockpit und Frachtraum. »Beim Flug muß sich das Blatt eines Propellers gelöst haben. Es ist dann wie ein Schrapnell in den Rumpf eingedrungen.«
Bass betrachtete das traurige Bild von dem, was vor vierunddreißig Jahren ein stolzes funktionsfähiges Flugzeug mit allen Raffinessen der damaligen Technik gewesen war. Der Schmerz in Bass’ Brust war stärker geworden. Er zwang sich, nicht darauf zu achten, während er mit einer unbewussten Bewegung die prikkelnde Innenseite seines linken Oberarmes zu massieren begann. Angestrengt versuchte er einen Blick in das Cockpit des Wracks zu werfen. Die Scheiben waren jedoch so sehr mit Schlamm verschmiert, dass er nichts erkennen konnte. Als die Schwimmkräne den mächtigen Rumpf fünf Meter hoch über die Wasseroberfläche gehievt hatten, durchfuhr Bass ein Gedanke. Er drehte sich um und sah fragend zu Pitt hinüber.
»Sie haben ja gar kein Transportschiff besorgt, Mr. Pitt. Wie wollen Sie das Wrack denn an Land bringen?« Pitt grinste. »Dafür gibt’s den Himmelshaken, Admiral.« Er gab Giordino ein Zeichen. »Der Dumbo soll starten.«
Zwei Minuten später kam ein unförmig dicker Lasthubschrauber über die Baumspitzen gebrummt. Er sah aus wie eine stahlgepanzerte urzeitliche Flugechse – mit der Besonderheit, dass dieses Urtier seine Flügel auf der Stirn trug. Das dumpfe Blubbern der beiden gigantischen Rotoren, die die dünne Bergluft zerschnitten, war so laut, dass es ein Gespräch unmöglich machte.
In einer präzis geschwungenen Anflugkurve brachte der Pilot den Lasthubschrauber auf seine Einsatzposition zwischen den beiden Schwimmkränen. Zwei mächtige Haken wurden an hydraulisch bewegten Stahlseilen aus dem Bauch des Flugkörpers herabgelas sen und in die Stahlschlaufen an der Oberseite der Cargo 03 eingeklinkt. Dann war das Donnern der auf volle Kraft gestellten Rotoren zu hören. Langsam schwebte das Wrack höher, bis die Stahlseile, die es noch mit den beiden Schwimmkränen verband, entlastet wurden und lose durchhingen. Nachdem das Bedienungspersonal der Schwimmkräne die beiden Krankabel abgekoppelt hatte, stieg der
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