Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
Sarah.«Sarah blickte der Polizistin hinterher, als sie aus dem Zimmer ging.
Sie glaubt dir nicht.
Das war Sarah bewusst geworden, als sie ihre Geschichte zur Hälfte erzählt hatte. Erwachsene glaubten immer, Kinder wüssten überhaupt nichts. Sie irrten sich. Sarah jedenfalls wusste, wenn sie nicht ernst genommen wurde. Cathy war eine nette Frau, doch sie glaubte ihr kein Wort, was den Fremden betraf. Sarah runzelte die Stirn. Nein, das war nicht ganz richtig. Es war nur, dass sie irgendwie nicht zu glauben schien, dass …
Sarah überlegte, wie sie es in Worte fassen sollte.
Es ist nicht so, dass sie denkt, ich würde lügen. Aber sie glaubt auch nicht, dass ich ihr die Wahrheit sage.
Als wäre ich
(verrückt)
Sarah lehnte sich im Krankenbett zurück und schloss die Augen. Sie spürte, wie der Schmerz herannahte wie auf schwarzen Pferden. Die Pferde galoppierten in ihre Seele und stiegen auf die Hinterbeine und wieherten und schnaubten, und ihre Hufe scharrten schwarze Fetzen aus Sarahs Herz.
Manchmal war der Schmerz, den sie spürte, ganz klar und scharf umrissen. Es war kein dumpfer Schmerz, nicht wie ein Hintergrundgeräusch. Es war eine klaffende Wunde, blanke Nervenenden und Feuer. Es war eine Schwärze, die über ihr zusammenschlug und sie den Tod herbeiwünschen ließ. In solchen Augenblicken lag sie in ihrem Bett in der Dunkelheit und versuchte ihr Herz dazu zu bringen, dass es zu schlagen aufhörte. Mommy hatte ihr einmal eine Geschichte erzählt, über weise Männer in China, die sich ein Grab graben, sich davorsetzen und mit schierer Willenskraft ihr Leben beendeten. Ihre Herzen hörten auf zu schlagen, und sie kippten vornüber in das wartende Loch.
Sarah versuchte es ihnen nachzumachen, doch wie sehrsie sich auch konzentrierte, wie sehr sie es sich wünschte, sie konnte nicht sterben. Sie atmete weiter, ihr Herz schlug weiter, und – das war am schlimmsten – es schmerzte weiter. Es war ein Schmerz, der nicht weggehen wollte, der nicht schwächer wurde und nicht verebbte.
Sie konnte nicht sterben, also rollte sie sich in ihrem Bett zusammen und weinte lautlos in sich hinein. Weinte und weinte und weinte, stundenlang. Weinte, weil ihr jetzt klar geworden war, dass Mommy und Daddy und Buster nicht mehr lebten, dass sie gegangen waren und nie, nie wieder zurückkehren würden. Nie wieder.
Nach der Trauer kamen die Wut und die Scham.
Du bist sechs! Hör auf, wie eine Heulsuse zu weinen!
Sie hatte keinen Erwachsenen, der ihr hätte sagen können, dass es völlig in Ordnung war, wenn man mit sechs Jahren noch weinte, also rollte sie sich erneut in der Dunkelheit zusammen und versuchte zu sterben und weinte und schämte sich für jede Träne.
Cathy glaubte ihr nicht. Cathy hielt sie für eine Geschichtenerzählerin, und das ließ eine neuerliche Woge des Schmerzes über Sarah hinwegfluten.
Es machte sie traurig und wütend zugleich. Mehr als alles andere weckte es in ihr das Gefühl, allein zu sein.
Cathy saß im Streifenwagen und blickte aus dem Fenster. Ricky trank einen Milchshake und musterte sie von der Seite.
»Die Geschichte von dem Mädchen geht dir an die Nerven, was?«, fragte er.
»Ja. Wie man’s auch sieht, es sind schlechte Neuigkeiten: Wenn wir uns nicht irren, ist sie verrückt geworden. Wenn wir uns irren, schwebt sie in großer Gefahr.«
Ricky saugte an seinem Strohhalm und betrachtete die Innenseiten seiner Sonnenbrille.
»Du solltest versuchen, die Geschichte zu vergessen,Partner. So funktioniert das bei uns Uniformierten. Wir kommen nicht dazu, die Dinge bis zum Ende zu verfolgen, jedenfalls nicht oft. Wir erscheinen an einem Tatort, sichern alles und übergeben es dann an die Detectives. Rein, raus, fertig. Wenn du Dinge mit dir rumschleppst, ohne dass du etwas daran ändern kannst, wirst du mit der Zeit verrückt. Warum sonst enden Cops als Trinker oder vor der Mündung ihrer eigenen Revolver?«
Cathy wandte sich zu ihm.
»Du meinst also, ich soll einen Dreck darauf geben?«
Santos lächelte sie an. Es war ein trauriges Lächeln.
»Du sollst dich darum kümmern, solange es dein Problem ist. Das habe ich gemeint. Du wirst in deiner Dienstzeit noch hundert Sarahs sehen. Vielleicht mehr. Tu das Richtige für sie, solange es dein Job ist, und dann vergiss die Geschichte und kümmere dich um deinen nächsten Auftrag. Wir kämpfen in einem Zermürbungskrieg, Partner, nicht in einer einzelnen Schlacht.«
»Vielleicht«, sagte sie.
Jede Wette, fügte sie in
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