Der Todschlaeger
er von dem Unglück
erfuhr, stand er zuerst mit trockenen Augen da,
stammelte, glaubte irgendwie, man spiele ihm
einen Schabernack. Dann warf er sich zu
Boden und fiel vor der Toten nieder; und er
küßte sie, er heulte wie ein Schloßhund, so
große Tränen, daß er das Laken naß machte,
als er sich die Wangen abwischte. Ganz
gerührt über den Schmerz ihres Mannes und
ausgesöhnt mit ihm, hatte Gervaise wieder zu
schluchzen begonnen; ja, es steckte doch ein
besserer Kern in ihm, als sie glaubte.
Coupeaus Verzweiflung vereinte sich mit
einem heftigen Kater. Er fuhr sich mit den
Fingern in die Mähne, er hatte den pappigen
Mund wie stets am Tage nach einem Rausch
und war trotz seiner zehn Stunden Schlaf noch
immer ein bißchen beschwipst. Und er
jammerte mit geballten Fäusten.
Himmelsakrament! Seine arme Mutter, die er
so liebte, da war sie nun dahingegangen! Ach,
tat ihm der Schädel weh, das würde ihm den
Rest geben! Eine richtige Perücke aus
glühender Kohle auf seinem Kopf, und dazu
sein Herz, das man ihm jetzt herausriß! Nein,
das Schicksal war nicht gerecht, einen
Menschen so erbittert zu verfolgen!
»Na, Mut, alter Junge«, sagte Lantier und
richtete ihn auf. »Man muß sich fassen.«
Er goß ihm ein Glas Wein ein, aber Coupeau
weigerte sich zu trinken.
»Was habe ich bloß? Ich habe Kupfer im
Schlund ... Das kommt wegen Mama; als ich
sie gesehen habe, habe ich einen
Kupfergeschmack gehabt ... Mama, mein Gott!
Mama, Mama ...« Und er begann wieder zu
weinen wie ein Kind. Trotzdem trank er das
Glas Wein, um das Feuer zu löschen, das ihm
die Brust verbrannte.
Lantier verdrückte sich bald unter dem
Vorwand, die Familie zu benachrichtigen und
beim Standesamt vorbeizugehen, um die
Todesanzeige zu machen. Er hatte es nötig,
Luft zu schöpfen. Daher beeilte er sich auch
nicht, rauchte Zigaretten, genoß die scharfe
Kälte des Morgens. Als er von Frau Lerat kam,
betrat er sogar einen Milchausschank in Les
Batignolles, um eine Tasse recht heißen
Kaffee zu trinken. Und dort blieb er eine gute
Stunde und überlegte.
Unterdessen hatte sich gleich um neun Uhr die
Familie im Laden versammelt, dessen
Fensterläden man geschlossen ließ. Lorilleux
weinte nicht; außerdem hatte er eilige Arbeit,
er ging fast sofort wieder in seine Werkstatt
hinauf, nachdem er sich einen Augenblick mit
einem den Umständen entsprechenden Gesicht
in den Hüften gewiegt hatte. Frau Lorilleux
und Frau Lerat hatten die Coupeaus umarmt
und tupften sich die Augen, aus denen Meine
Tränen herabrollten. Aber als Frau Lorilleux
einen raschen Blick auf die Umgebung der
Toten geworfen hatte, erhob sie jäh die
Stimme, um zu sagen, hier habe wohl keiner
gesunden Menschenverstand, man lasse
niemals bei einem Leichnam eine Lampe
angezündet; man brauche Kerzen. Und man
schickte Nana ein Paket Kerzen kaufen, große
Kerzen. Na ja, bei Hinkebein könne man
sterben, sie würde einen auf komische Art und
Weise zurechtmachen! So eine Gans, nicht
einmal zu wissen, wie man sich bei einem
Toten verhalte! Sie habe wohl in ihren Leben
noch nie jemand beerdigt? Frau Lerat mußte
zu den Nachbarinnen hinaufgehen, um ein
Kruzifix auszuleihen; sie brachte ein zu großes
an, ein Kreuz aus schwarzem Holz, auf das ein
Christus aus bemalter Pappe genagelt war, das
Mama Coupeaus ganze Brust verriegelte und
dessen Gewicht sie zu erdrücken schien.
Darauf suchte man Weihwasser, aber niemand
hatte welches; und Nana lief abermals los, bis
zur Kirche, um eine Flasche voll zu holen. Im
Handumdrehen bekam die Kammer ein
anderes Aussehen; auf einem kleinen Tisch
brannte eine Kerze neben einem Glas voll
Weihwasser, in das ein Buchsbaumzweig
getunkt war. Nun sah es wenigstens anständig
aus, wenn Leute kämen. Und im Laden stellte
man die Stühle im Kreise auf, um Besuch
empfangen zu können.
Lantier kam erst um elf Uhr zurück. Er hatte
Erkundigungen im Bestattungsinstitut
eingezogen.
»Der Sarg kostet zwölf Francs«, sagte er.
»Wenn Sie eine Messe haben wollen, so macht
es zehn Francs mehr. Schließlich kommt noch
der Leichenwagen, der je nach der
Ausschmückung bezahlt wird ...«
»Oh, das ist ganz überflüssig«, murmelte Frau
Lorilleux und hob mit überraschter und
besorgter Miene den Kopf. »Man kann Mama
ja doch nicht wieder lebendig machen, nicht
wahr? – Man muß nach seinem Geldbeutel
gehen.«
»Allerdings, das denke ich auch«, erwiderte
der Hutmacher. »Ich
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