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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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er von dem Unglück
    erfuhr, stand er zuerst mit trockenen Augen da,
    stammelte, glaubte irgendwie, man spiele ihm
    einen Schabernack. Dann warf er sich zu
    Boden und fiel vor der Toten nieder; und er
    küßte sie, er heulte wie ein Schloßhund, so
    große Tränen, daß er das Laken naß machte,
    als er sich die Wangen abwischte. Ganz
    gerührt über den Schmerz ihres Mannes und
    ausgesöhnt mit ihm, hatte Gervaise wieder zu
    schluchzen begonnen; ja, es steckte doch ein
    besserer Kern in ihm, als sie glaubte.
    Coupeaus Verzweiflung vereinte sich mit
    einem heftigen Kater. Er fuhr sich mit den
    Fingern in die Mähne, er hatte den pappigen
    Mund wie stets am Tage nach einem Rausch
    und war trotz seiner zehn Stunden Schlaf noch
    immer ein bißchen beschwipst. Und er
    jammerte mit geballten Fäusten.
    Himmelsakrament! Seine arme Mutter, die er
    so liebte, da war sie nun dahingegangen! Ach,
    tat ihm der Schädel weh, das würde ihm den
    Rest geben! Eine richtige Perücke aus
    glühender Kohle auf seinem Kopf, und dazu
    sein Herz, das man ihm jetzt herausriß! Nein,
    das Schicksal war nicht gerecht, einen
    Menschen so erbittert zu verfolgen!
    »Na, Mut, alter Junge«, sagte Lantier und
    richtete ihn auf. »Man muß sich fassen.«
    Er goß ihm ein Glas Wein ein, aber Coupeau
    weigerte sich zu trinken.
    »Was habe ich bloß? Ich habe Kupfer im
    Schlund ... Das kommt wegen Mama; als ich
    sie gesehen habe, habe ich einen
    Kupfergeschmack gehabt ... Mama, mein Gott!
    Mama, Mama ...« Und er begann wieder zu
    weinen wie ein Kind. Trotzdem trank er das
    Glas Wein, um das Feuer zu löschen, das ihm
    die Brust verbrannte.
    Lantier verdrückte sich bald unter dem
    Vorwand, die Familie zu benachrichtigen und
    beim Standesamt vorbeizugehen, um die
    Todesanzeige zu machen. Er hatte es nötig,
    Luft zu schöpfen. Daher beeilte er sich auch
    nicht, rauchte Zigaretten, genoß die scharfe
    Kälte des Morgens. Als er von Frau Lerat kam,
    betrat er sogar einen Milchausschank in Les
    Batignolles, um eine Tasse recht heißen
    Kaffee zu trinken. Und dort blieb er eine gute
    Stunde und überlegte.
    Unterdessen hatte sich gleich um neun Uhr die
    Familie im Laden versammelt, dessen
    Fensterläden man geschlossen ließ. Lorilleux
    weinte nicht; außerdem hatte er eilige Arbeit,
    er ging fast sofort wieder in seine Werkstatt
    hinauf, nachdem er sich einen Augenblick mit
    einem den Umständen entsprechenden Gesicht
    in den Hüften gewiegt hatte. Frau Lorilleux
    und Frau Lerat hatten die Coupeaus umarmt
    und tupften sich die Augen, aus denen Meine
    Tränen herabrollten. Aber als Frau Lorilleux
    einen raschen Blick auf die Umgebung der
    Toten geworfen hatte, erhob sie jäh die
    Stimme, um zu sagen, hier habe wohl keiner
    gesunden Menschenverstand, man lasse
    niemals bei einem Leichnam eine Lampe
    angezündet; man brauche Kerzen. Und man
    schickte Nana ein Paket Kerzen kaufen, große
    Kerzen. Na ja, bei Hinkebein könne man
    sterben, sie würde einen auf komische Art und
    Weise zurechtmachen! So eine Gans, nicht
    einmal zu wissen, wie man sich bei einem
    Toten verhalte! Sie habe wohl in ihren Leben
    noch nie jemand beerdigt? Frau Lerat mußte
    zu den Nachbarinnen hinaufgehen, um ein
    Kruzifix auszuleihen; sie brachte ein zu großes
    an, ein Kreuz aus schwarzem Holz, auf das ein
    Christus aus bemalter Pappe genagelt war, das
    Mama Coupeaus ganze Brust verriegelte und
    dessen Gewicht sie zu erdrücken schien.
    Darauf suchte man Weihwasser, aber niemand
    hatte welches; und Nana lief abermals los, bis
    zur Kirche, um eine Flasche voll zu holen. Im
    Handumdrehen bekam die Kammer ein
    anderes Aussehen; auf einem kleinen Tisch
    brannte eine Kerze neben einem Glas voll
    Weihwasser, in das ein Buchsbaumzweig
    getunkt war. Nun sah es wenigstens anständig
    aus, wenn Leute kämen. Und im Laden stellte
    man die Stühle im Kreise auf, um Besuch
    empfangen zu können.
    Lantier kam erst um elf Uhr zurück. Er hatte
    Erkundigungen im Bestattungsinstitut
    eingezogen.
    »Der Sarg kostet zwölf Francs«, sagte er.
    »Wenn Sie eine Messe haben wollen, so macht
    es zehn Francs mehr. Schließlich kommt noch
    der Leichenwagen, der je nach der
    Ausschmückung bezahlt wird ...«
    »Oh, das ist ganz überflüssig«, murmelte Frau
    Lorilleux und hob mit überraschter und
    besorgter Miene den Kopf. »Man kann Mama
    ja doch nicht wieder lebendig machen, nicht
    wahr? – Man muß nach seinem Geldbeutel
    gehen.«
    »Allerdings, das denke ich auch«, erwiderte
    der Hutmacher. »Ich

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