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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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wie ein eingeschlummerter
    Ochse. RöstfleischBibi erzählte eine
    Geschichte, auf welche Weise er einen Liter
    mit einem Zug austrinke, indem er der
    Flasche, ohne sie mit den Lippen zu berühren,
    einen solchen Kuß verpasse, daß man ihr
    Hinterteil sehe.
    Unterdessen hatte Salzschnabel, genannt
    Trinkohndurst, die Drehscheibe vom
    Schanktisch geholt und spielte mit Coupeau
    um Getränke.
    »Zweihundert! – Du bist gewieft, jedesmal
    holst du die großen Nummern heraus.«
    Die Feder der Drehscheibe knarrte, das Bild
    der Fortuna, einer unter Glas gelegten, großen,
    roten Frau, drehte sich und rief in der Mitte
    nur noch einen runden Fleck hervor, der einem
    Weinfleck glich.
    »Dreihundertfünfzig! – Du bist wohl irgendwo
    reingetreten, du verdammter Schlauberger!
    Ach, verflixt, ich spiele nicht mehr!«
    Und Gervaise interessierte sich für die
    Drehscheibe. Sie soff, was das Zeug hielt, und
    nannte Meine Botten »Mein Jungchen«. Hinter
    ihr war die Besaufmaschine immer noch in
    Betrieb mit dem Plätschern eines
    unterirdischen Baches; sie gab die Hoffnung
    auf, sie zum Stillstand und zum Versiegen
    bringen zu können, war von einem dumpfen
    Zorn auf sie gepackt und bekam Lust, auf den
    großen Destillierkolben zu springen wie auf
    ein Tier, um mit den Absätzen auf ihn
    einzuhauen und ihm den Bauch aufzureißen.
    Alles verwirrte sich, sie sah, wie die Maschine
    sich bewegte, sie fühlte, daß ihre Kupfertatzen
    sie gepackt hielten, während der Bach nun
    durch ihren Leib floß.
    Dann tanzte die Gaststube mit den Gaslampen,
    die wie Sterne dahinzogen. Gervaise war
    bekneipt. Sie hörte eine wütende
    Auseinandersetzung zwischen Salzschnabel,
    genannt Trinkohndurst, und Vater Colombe,
    diesem vernagelten Kerl. So ein Spitzbube von
    einem Wirt, der mit doppelter Kreide
    anschreibe! Man sei doch nicht im Wald von
    Bondy92. Aber jäh entstand ein Gedränge, ein
    Gebrülle, ein Poltern von umgeworfenen
    Tischen. Das war Vater Colombe, der die
    Gesellschaft, ohne Umstände zu machen, im
    Handumdrehen rausschmiß. Vor der Tür
    schimpfte man auf ihn und nannte ihn einen
    Lumpen. Es regnete immer noch, und ein
    leichter eisiger Wind wehte. Gervaise verlor
    Coupeau, fand ihn wieder und verlor ihn
    abermals. Sie wollte nach Hause gehen, sie
    tastete sich an den Läden entlang, um ihren
    Weg zu erkennen. Sie war sehr verwundert
    über diese jähe Nacht. An der Ecke der Rue
    des Poissonniers setzte sie sich in den
    Rinnstein und glaubte im Waschhaus zu sein.
    All das fließende Wasser verdrehte ihr den
    Kopf und machte sie ganz krank. Endlich
    langte sie an, sie drückte sich schleunigst an
    der Tür der Conciergeleute vorbei, bei denen
    sie die Lorilleux und die Poissons am Tisch
    sitzen sah, die angeekelte Grimassen schnitten,
    als sie sie in diesem schönen Zustand
    erblickten.
    Sie erfuhr nie, wie sie die sechs Stockwerke
    hochgekommen war. In dem Augenblick, als
    sie oben in den Korridor einbog, eilte die
    kleine Lalie herbei, die ihren Schritt hörte und,
    die Arme mit liebkosender Gebärde
    ausbreitend, lachend sagte:
    »Madame Gervaise, Papa ist nicht
    heimgekehrt, kommen Sie doch herein und
    sehen Sie, wie meine Kinder schlafen ... Oh,
    sie sind niedlich!« Aber vor dem
    stumpfsinnigen Gesicht der Wäscherin wich
    sie zurück und zitterte. Sie kannte diesen
    Branntweinhauch, diese blassen Augen, diesen
    zuckenden Mund.
    Da ging Gervaise stolpernd vorbei, ohne ein
    Wort zu sagen, während ihr die Kleine, die auf
    der Schwelle ihrer Tür stand, mit ihrem
    dunklen, stummen und ernsten Blick nachsah.

    Kapitel XI
    Nana wuchs heran, wurde ein Miststück. Mit
    fünfzehn Jahren war sie emporgeschossen wie
    ein Kalb, hatte sehr weißes Fleisch, war sehr
    üppig, ja sogar so mollig, daß sie wie ein
    Knäuel wirkte. Ja, so war's, fünfzehn Jahre,
    alle Zähne und kein Korsett. Ein richtiges in
    Milch getauchtes Flittchenfrätzchen, eine
    samtene Pfirsichhaut, eine possierliche Nase,
    ein rosiger Schnabel und leuchtende
    Guckerchen, an denen es die Männer gelüstete,
    ihre Pfeife anzuzünden. Ihre Fülle blonden
    Haars, das die Farbe frischen Hafers hatte,
    schien ihr Goldstaub über die Schläfen
    geschüttet zu haben, Sommersprossen, die ihr
    dort eine Sonnenkrone aufsetzten. Ach, eine
    hübsche Puppe, wie die Lorilleux sagten, eine
    Rotznase, der man noch die Nase hätte putzen
    sollen und deren starke Schultern, die vollen
    Rundungen, den reifen Duft einer erwachsenen
    Frau hatten.
    Nana stopfte sich nun keine

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