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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Papierkugeln
    mehr in ihr Mieder. Sie hatte Bällchen
    bekommen, ein Paar ganz neue Bällchen aus
    weißem Atlas. Und das war ihr nicht gerade
    lästig, sie hätte ganze Arme voll davon haben
    mögen, sie träumte von Ammennuckeln, so
    gierig und unbedacht ist die Jugend. Was sie
    besonders lecker machte, war eine häßliche
    Angewohnheit, die sie angenommen hatte,
    nämlich ein Zipfelchen ihrer Zunge zwischen
    ihren weißen Beißerchen hervorzustecken.
    Vermutlich war sie sich so, wenn sie sich in
    den Spiegeln betrachtete, nett vorgekommen.
    Nun streckte sie den ganzen Tag über die
    Zunge heraus, um schönzutun.
    »Versteck doch deine Schwindlerin!« rief ihr
    die Mutter zu.
    Und oft mußte sich Coupeau einmischen, er
    schlug mit der Faust zu und brüllte fluchend:
    »Willst du wohl deinen roten Lappen wieder
    einziehen!«
    Nana gab sich sehr kokett. Sie wusch sich
    nicht immer die Füße, wählte aber ihre
    Halbstiefel so eng, daß sie im Gefängnis ihres
    Schuhzeugs ein Martyrium erlitt; und befragte
    man sie, wenn man sah, daß sie blau anlief, so
    erwiderte sie, sie habe Leibschmerzen, um ihre
    Koketterie nicht einzugestehen. Wenn das Brot
    im Hause fehlte, fiel es ihr schwer, sich
    herauszuputzen. Dann vollbrachte sie Wunder,
    sie brachte Bänder aus der Werkstatt mit und
    machte sich Toiletten zurecht, mit Schleifen
    und Quasten bedeckte schmutzige Kleider. Der
    Sommer war die Jahreszeit ihrer Triumphe.
    Mit einem Perkalkleid zu sechs Francs
    verbrachte sie alle Sonntage, sie erfüllte das
    Viertel La Goutted'Or mit ihrer blonden
    Schönheit. Ja, man kannte sie von den äußeren
    Boulevards bis zu den Befestigungen und von
    der Chaussée de Clignancourt bis zum
    Boulevard de la Chapelle. Man nannte sie
    »Puttchen«, weil sie tatsächlich das zarte
    Fleisch und das frische Aussehen eines
    Hühnchens hatte.
    Besonders ein Kleid stand ihr vortrefflich. Es
    war ein weißes Kleid mit rosa Tupfen, ganz
    einfach, ohne Besatz. Der etwas kurze Rock
    ließ ihre Füße frei; die weit offenen
    herabfallenden Ärmel entblößten ihre Arme
    bis zu den Ellbogen; der Halsausschnitt des
    Mieders, den sie, um Vater Coupeaus
    Maulschellen aus dem Wege zu gehen, in einer
    dunklen Ecke der Treppe herzförmig
    aufschlug und mit Stecknadeln festhielt, ließ
    das schneeige Weiß ihres Halses und den
    goldigen Schatten ihrer Brust sehen. Und
    nichts weiter, nur ein um ihr blondes Haar
    geschlungenes rosa Band, ein Band, dessen
    Enden über ihrem Nacken umherflatterten. Sie
    war darin frisch wie ein Blumenstrauß. Sie
    roch gut nach Jugend, nach der Nacktheit des
    Kindes und der Frau.
    Die Sonntage waren zu dieser Zeit für sie Tage
    des Stelldicheins mit der Menge, mit allen
    Männern, die vorübergingen und sie mit
    lüsternen Augen betrachteten. Von kleinen
    Sehnsüchten gekitzelt, erstickend, von einem
    Bedürfnis nach frischer Luft, nach einem
    Spaziergang in der Sonne, im Gewühl der
    sonntäglich gekleideten Vorstadt erfaßt,
    wartete sie die ganze Woche darauf. Schon am
    Morgen zog sie sich an, sie verweilte
    stundenlang im Hemd vor der über der
    Kommode aufgehängten Spiegelscherbe; und
    da das ganze Haus sie durchs Fenster sehen
    konnte, wurde ihre Mutter böse und fragte sie,
    ob sie nicht bald damit fertig sei, im bloßen
    Hemd herumzuspazieren. Aber mit nackten
    Beinen und von den Schultern
    herabgeglittenem Hemd klebte sie sich in der
    Liederlichkeit ihres zerzausten Haars
    seelenruhig mit Zuckerwasser Schmachtlocken
    auf die Stirn, nähte die Knöpfe an ihren
    Halbstiefeln fest oder machte einen Stich an
    ihrem Kleid.
    Oh, so sehe sie prima aus, sagte Vater
    Coupeau, der grinste und sie aufzog; eine
    richtige büßende Magdalena! Sie hätte als
    Wilde auftreten und sich für zwei Sous sehen
    lassen können. Er rief ihr zu: »Versteck doch
    dein Fleisch, damit ich mein Brot essen kann!«
    Und sie war anbetungswürdig, weiß und fein
    unter dem Überquellen ihres blonden Vlieses,
    ärgerte sich so sehr, daß ihre Haut davon rosig
    wurde, wagte ihrem Vater nicht zu antworten
    und zerbiß den Faden zwischen ihren Zähnen
    mit einem schroffen und grimmigen Ruck, der
    ihre Nacktheit, die Nacktheit eines schönen
    Mädchens, mit einem Schauer erbeben ließ.
    Gleich nach dem Mittagessen zog sie dann los,
    sie ging auf den Hof hinunter. Die heiße Stille
    des Sonntags schläferte das Haus ein; die
    Werkstätten unten waren geschlossen, die
    Wohnungen gähnten durch ihre offenen
    Fenster und ließen schon für den

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