Der Todschlaeger
wissen, sind
ebenso wie die knickrigen Lorilleux, die sich
in aller Stille doch immer wieder einen guten
Bissen leisten können, gleichsam lebende
Beweise für diesen Eindruck.
Dabei hatte Zola mit dem Roman zeigen
wollen, daß Not, Trunksucht, Elend, ja die
teilweise moralische Depravierung des Volkes
das unvermeidliche Ergebnis seiner
unmenschlichen Daseinsbedingungen, seiner
schweren, erschöpfenden Arbeit, seiner
ungenügenden
Bezahlung,
seiner
Elendsbehausungen, kurz, seiner sozialen
Existenz waren, und er hatte mit diesem
ungeschminkten Bild sozialer Zustände den
dafür verantwortlichen herrschenden Kreisen,
den Regierenden und den ach so
wohlanständigen, über den verkommenen
»Pöbel« die Nase rümpfenden Herrschaften
des Bürgertums eine Lehre erteilen wollen.
Sein Buch sollte ein flammender Appell an sie
sein, dem Volke Licht, Luft, bessere
Arbeitsbedingungen, Bildung, gesunde
Wohnungen, kurz, ein menschenwürdiges
Dasein zu geben.
Aber die Motivierung dieser Arbeitertragödie
zwang die Adressaten seiner Kritik nicht zu
diesem Schluß. Im Gegenteil. Man konnte
Zola sogar vorwerfen, den sozialen
Vorurteilen dieser Kreise neue Argumente
geliefert zu haben. Eine Szene aus dem später
geschriebenen »Germinal« wirkt wie eine
indirekte Kritik an diesen durch die nicht
genügend
umfassende
Darstellung
ermöglichten Schlußfolgerungen.
Als die Maheude zu den Grégoires kommt und
in ihrer Verzweiflung, ihrem Hunger
ausnahmsweise um ein paar Sous, um etwas
Geld bettelt, damit sie wenigstens den Kindern
ein Stück Brot zum Mittag geben kann, erhält
sie eine ziemlich entrüstete Absage. Dabei
sind die Grégoires nach ihren eigenen
Vorstellungen keineswegs hartherzig. Die
alten, abgetragenen Sachen, ja selbst ein Stück
übriggebliebenen Kuchen vom Frühstückstisch
kann sie durchaus haben. Aber Geld?
Schließlich hatten sie ihre Grundsätze, sie
schmeichelten sich, »daß sie ihre
Nächstenliebe mit Klugheit übten, denn sie
schwebten in steter Angst, sie könnten
getäuscht werden und so dem Laster Vorschub
leisten. Darum schenkten sie niemals Geld!
Niemals! Nicht zehn Sous, nicht zwei Sous.
Denn wenn ein Armer zwei Sous besaß, so
vertrank er sie; das war eine feststehende
Tatsache ... Man muß doch auch zugeben, daß
es die Arbeiter oft an Vernunft fehlen lassen ...
Anstatt, wie unsere Bauern ein paar Sous
beiseitezulegen, trinken sie ...« Und mit dieser
Ansicht sprachen die Grégoires nur die für die
sogenannte »gute« Gesellschaft gängige
Auffassung aus. Aber im »Germinal« zeigt
Zola, daß es sich hier um klassenbedingte,
ideologische Vorurteile handelt. Die
Geschichte von Coupeau und Gervaise konnte
jedoch auch so ausgelegt werden, als gäbe er
der herrschenden bürgerlichen Meinung recht.
Und so kamen sofort nach Erscheinen des
Romans heftige Kritiken gerade auch aus
linksgerichteten Kreisen, die Zola vorwarfen,
das Volk verunglimpft zu haben.
Zola war außer sich. Konnte man ihn so
mißverstehen? Er hatte doch nichts anderes als
»ein sehr exaktes Bild vom Dasein des Volkes
mit seinem Schmutz, seinem zerrütteten
Leben, seiner groben Sprache geben wollen,
ein Bild, das als Untergrund – ohne irgendeine
vorgefaßte These – den besonderen Boden hat,
auf dem all diese Dinge wachsen. Dem
Arbeiter nicht schmeicheln, ihn aber auch
nicht anschwärzen. Eine absolut exakte
Wirklichkeit ... ein schreckliches Bild, das
seine Moral in sich trug ...« War das die
Moral, die man aus seinem Werk zog? Aus
diesem »mutigen Werk, das die Wahrheit zu
sagen gewagt hatte«? War es nicht genug, daß
ihn seit Jahren die ganze bürgerliche Presse
beschimpfte oder totschwieg, daß jeder seiner
Romane mehr oder weniger verleumdet oder
ignoriert wurde? Sollte er sich nun auch noch
von jenen Vorwürfe machen lassen, in deren
Interesse er glaubte geschrieben zu haben?
Jahre danach, als er das »bürgerliche«
Gegenstück zum »Totschläger«, den Roman
»PotBouille« (»Ein feines Haus«), geschrieben
hatte, in dem er die »Sitten (besser gesagt die
Unsitten!) des Pariser Bürgertums« schilderte,
einen Roman, der so schonungslos mit dem
Wohlanständigkeitsmythos der »feinen«
Häuser aufräumte, daß selbst jene Kritiker, die
ihm den »Totschläger« vielleicht noch
verziehen hätten, laut Alarm schlugen, fand er
es weit unter seiner Würde, auch nur mit
einem Wort zu antworten. Die Vorwürfe der
Menschen jedoch,
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