Der Todschlaeger
denen er sich nahe, ja in
gewisser Beziehung zugehörig fühlte, trafen
ihn im Innersten. Er sollte eine schlechte
Handlung begangen haben, indem er das Volk
in so schrecklichen Farben darstellte? Nein,
diesen Satz konnte er nicht ruhig hinnehmen.
So richtete Zola an Yves Guyot, den Direktor
des »Bien Public«, am 13.2.1877 einen
ausführlichen Brief, in dem er seine Absichten
klarzulegen, sein Werk zu verteidigen suchte.
Das
»Bien
Public«,
ein
radikalrepublikanisches Blatt, hatte am
13.4.1876 mit der Feuilletonveröffentlichung
des »Totschlägers« begonnen, sie aber bereits
am 7.6.1876 abgebrochen. Guyot gab später
vor, die vielen Abonnementsabsagen hätten
ihn zu diesem Schritt gezwungen.
Wahrscheinlich aber waren politische Gründe
ausschlaggebend gewesen. Denn man darf
nicht vergessen, daß erst genau fünf Jahre seit
der Commune vergangen waren und dieser
Arbeiterroman schon in diesem
Zusammenhang wie eine Provokation wirken
mußte. Nur durch das Entgegenkommen von
Catulle Mendès, der die literarische
Wochenzeitschrift »La République des
Lettres« leitete, war es Zola überhaupt
möglich, den Roman als Feuilleton zu Ende zu
veröffentlichen. Es erschien darin vom 9. Juli
1876 bis 7. Januar 1877. Die Buchausgabe
erfolgte kurz danach, Ende Januar, wie immer
bei Charpentier und löste von neuem eine
wahre Presseschlacht aus. Hinter Zolas
leidenschaftlichen Worten der Verteidigung
spürte man, daß seine Absicht, sein Bemühen,
die Wahrheit über das Volk zu sagen, ehrlich
gewesen war.
»Ich behaupte, ein nützliches Werk vollbracht
zu haben, indem ich im ›Totschläger‹ eine
gewisse Seite des Volkes analysierte ... Ich
habe die Wunden gezeigt ... Ich bin nichts
weiter als ein Protokollant, aber ich lehne es
ab, die notwendigen Schlußfolgerungen im
Werk selbst daraus zu ziehen ... Ich überlasse
es den Ethikern und Gesetzgebern,
nachzudenken und die Mittel zu finden. Wenn
man mich aber schon absolut zwingen wollte,
einen Schluß zu ziehen, so würde ich sagen,
daß ›Der Totschläger‹ in einem Satz
zusammengefaßt werden kann: Schließt die
Kneipen, öffnet die Schulen ... die Trunksucht
verwüstet das Volk ...« Und Zola fügte noch
hinzu: »Macht die Vorstädte gesünder, erhöht
die Arbeitslöhne, die Wohnungsfrage ist
entscheidend ... die erdrückende Arbeit, die
den Menschen zum Tier herabwürdigt, der
ungenügende Lohn, der ihn entmutigt und das
Vergessen suchen läßt, füllt die Kneipen, das
Volk ist so, weil die Gesellschaft es so will.«
Diese Seite aber kam in seiner Darstellung
entschieden zu kurz. Dazu genügt nicht
Gervaises Schimpfen über die Schuld der
Regierung, die den Schnapsausschank nicht
verbot, nicht Lorilleux' Worte über ihre
Pflicht, für die »Arbeiterinvaliden« – ähnlich
wie für die Kriegsinvaliden – zu sorgen, nicht
Gervaises Gedanken über die Fäulniskeime,
die aus der Mietskaserne in der Rue de la
Goutted'Or, wo eine Familie förmlich auf dem
Rücken der anderen lebte, in ihr Dasein
eingedrungen waren und es zerstört hatten.
Doch Zola begehrt noch einmal auf gegen
diese Verurteilung seines Werkes: »›Der
Totschläger‹ ist keine Gosse, in der nur
verkommene und schlechte Wesen
herumwimmeln. Ich bestreite dies mit meiner
ganzen Kraft.« Und ausgehend von der
Interpretation des Grundgedankens seines
Buches, verteidigt Zola dann im einzelnen die
Gesamtanlage, weist er den Vorwurf zurück,
nur schlechte, negative Gestalten in seinen
Roman eingeführt zu haben. War Goujet, in
dessen Mund er die prophetischen Worte von
der Zukunft des Volkes gelegt hatte, nicht der
Typ des guten, fleißigen Arbeiters? Waren die
Lorilleux nicht bei aller durch ihr Leben
bedingten Knausrigkeit arbeitsame Leute?
Waren die Boches etwa Lumpen? Nachdem er
so seitenlang Einwand auf Einwand entkräftet
zu haben glaubt, trumpft er »zum Schluß mit
seinem Hauptargument auf: Was wolle man
eigentlich von ihm? »Der Totschläger« sei ja
nur ein Buch in einer großen
Gesamtkomposition, einer Reihe von zwanzig
Bänden, in denen jeder einzelne nur eine
besondere Seite des Gesamtgemäldes darstelle.
Solle man doch gefälligst warten, bis er dieses
Gesamtgemälde vollendet habe, und dann
darüber urteilen, welche Lehre sich aus ihm
ergebe. So habe er ja auch nicht nur einen
Roman über den Arbeiter geplant, sondern
zwei. Sei es nicht ganz natürlich, daß jeder
einen besonderen Aspekt
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