Der Todschlaeger
der
Färberei im Hofe des Hauses in der Rue de la
Goutted'Or strömt ihr nicht mehr rosenfarben
oder apfelgrün oder himmelblau, sondern nur
noch tief schwarz und Unheil verkündend
entgegen. Ihre eigene warnende Stimme hat
sie nicht getrogen. Als sie den Laden mietete
und mit Marescot verhandelte, sprach er
gleichzeitig mit den Boches über eine
bevorstehende Exmittierung. Irgendein armer
Teufel hatte seine Miete nicht zahlen können.
Und Gervaise lief es kalt über den Rücken.
Würde das auch ihr Schicksal sein?
Es war ihr Schicksal und zum Teil auch ihre
Schuld. Aber alle um sie her, Mutter Coupeau,
die Lorilleux, die Boches, Virginie und vor
allem ihr Mann und Lantier, hatten dazu
beigetragen, sie in diesen Abgrund zu stoßen.
Zola hat diesen Abstieg so fein differenziert
dargestellt, so genau in allen Stadien studiert,
das unerbittliche Ineinandergreifen dieses
Räderwerkes aus Charakterschwäche und
Umwelteinfluß, nachdem es erst einmal ins
Rollen gekommen war, in seiner unheimlichen
Bewegung so deutlich sichtbar gemacht, daß
diese Lebens und Charakterstudie der Gervaise
mit zum Besten gehört, was er
schriftstellerisch je geleistet hat. Nur das
Schicksal der Maheude aus »Germinal« ist
menschlich ebenso ergreifend wie der
Leidensweg dieser Arbeiterfrau aus einer
Pariser Vorstadt.
Am »Totschläger« sind häufig die
Beschreibungen gerühmt worden, das
Waschhaus mit der Prügelszene, der Brautzug,
der Besuch des Louvre, das Hochzeitsessen,
der Geburtstagsschmaus und nicht zuletzt die
in die Handlung eingeblendeten Bilder von
Paris, ganz gleich ob Gervaise über den
Dächern der morgendlichen Stadt die Sonne
emporsteigen sieht, während in den noch
dunklen Gassen die Arbeiter, Handwerker und
Angestellten bereits zu ihrem Arbeitsplatz
eilen, oder ob sie durch das nächtliche Viertel
am Montmartre streift, durch dessen Straßen
und Boulevards die gleichen Arbeiterheere,
vom Tagewerk zurückkehrend, ihrem Zuhause
zustreben oder in den Kneipen verschwinden.
Gewiß, diese Beschreibungen sind
Kabinettstückchen der Erzählkunst, und sie
gehören mit zum Besten, was der moderne
Roman auf diesem Gebiet aufzuweisen hat,
denn auch sie sind echt in Atmosphäre und
Stimmung. Man hört gleichsam das Getrappel
der Arbeiterbataillone am Morgen und am
Abend, spürt die Heiterkeit der belustigten
Straßenpassanten, beim Vorbeiziehen dieser
seltsamen Hochzeitsgesellschaft, atmet mit
dem ganzen Viertel den Schnapsdunst, der, die
Luft verpestend, Vater Colombes Kneipe
entströmt, bekommt eine Magenverstimmung
von dem üppigen Geburtstagsschmaus und
spürt, wie der Brodem aus dem Waschhaus
aufsteigt. Aber so glänzend, plastisch und
faszinierend auch all dies dargestellt ist,
ergreifend wird Zolas Erzählung an jenen
Stellen, wo er uns Gervaises Unglück
nahebringen will. Mag das Waschhaus noch so
exakt beschrieben sein, daß ein geschickter
Bühnenregisseur es danach Stück um Stück
aufbauen könnte, mag die Prügelszene noch so
echt und für manche zeitgenössische Leser
sogar pikant gezeichnet sein, rührend ist das
Bild von Gervaise, wie sie, mit ihrer nassen
Wäsche über der Schulter, die beiden
verstörten und verschmierten Kinder an ihren
Röcken, den Wohnungsschlüssel, dieses
Symbol ihres Unglücks, in der Hand, mit
verweinten Augen, zerzaust und zerrissen,
einen Augenblick hilflos und nicht wissend,
was sie tun soll, dasteht und dann langsam
nach Hause hinkt oder wie sie, abgestumpft
und fast vertiert, den Launen Virginies
preisgegeben, im wahrsten Sinne des Wortes
zu deren Füßen auf dem Boden liegt und
schrubbt und wischt und wie sie in all ihrer
Abgestumpftheit doch aufhorcht, als Nanas
Name fällt, die ganze Zeit über auf etwas zu
warten scheint, was nicht kommt, und dann
schließlich doch nicht länger an sich halten
kann und Lantier fragt, ob ihm Nana denn
keinen Gruß für sie aufgetragen habe. Der
Leser spürt das erwartungsvolle ängstliche
Zittern in ihrer Stimme und die grenzenlose
Enttäuschung über Lantiers negative Antwort,
er spürt, wie dieses Zerreißen der letzten
menschlichen Bande sie noch eine Stufe tiefer
hinabstößt auf dem Weg ins Nichts. Und die
vergebliche nächtliche Jagd auf der Straße, die
letzte Schande, zu der sie noch nicht gesunken
war und in die sie von ihrem eigenen Mann
getrieben wird, das Zusammentreffen mit
Vater Bru, die letzte Begegnung mit Goujet;
wie diese beiden durch
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