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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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der
    Färberei im Hofe des Hauses in der Rue de la
    Goutted'Or strömt ihr nicht mehr rosenfarben
    oder apfelgrün oder himmelblau, sondern nur
    noch tief schwarz und Unheil verkündend
    entgegen. Ihre eigene warnende Stimme hat
    sie nicht getrogen. Als sie den Laden mietete
    und mit Marescot verhandelte, sprach er
    gleichzeitig mit den Boches über eine
    bevorstehende Exmittierung. Irgendein armer
    Teufel hatte seine Miete nicht zahlen können.
    Und Gervaise lief es kalt über den Rücken.
    Würde das auch ihr Schicksal sein?
    Es war ihr Schicksal und zum Teil auch ihre
    Schuld. Aber alle um sie her, Mutter Coupeau,
    die Lorilleux, die Boches, Virginie und vor
    allem ihr Mann und Lantier, hatten dazu
    beigetragen, sie in diesen Abgrund zu stoßen.
    Zola hat diesen Abstieg so fein differenziert
    dargestellt, so genau in allen Stadien studiert,
    das unerbittliche Ineinandergreifen dieses
    Räderwerkes aus Charakterschwäche und
    Umwelteinfluß, nachdem es erst einmal ins
    Rollen gekommen war, in seiner unheimlichen
    Bewegung so deutlich sichtbar gemacht, daß
    diese Lebens und Charakterstudie der Gervaise
    mit zum Besten gehört, was er
    schriftstellerisch je geleistet hat. Nur das
    Schicksal der Maheude aus »Germinal« ist
    menschlich ebenso ergreifend wie der
    Leidensweg dieser Arbeiterfrau aus einer
    Pariser Vorstadt.
    Am »Totschläger« sind häufig die
    Beschreibungen gerühmt worden, das
    Waschhaus mit der Prügelszene, der Brautzug,
    der Besuch des Louvre, das Hochzeitsessen,
    der Geburtstagsschmaus und nicht zuletzt die
    in die Handlung eingeblendeten Bilder von
    Paris, ganz gleich ob Gervaise über den
    Dächern der morgendlichen Stadt die Sonne
    emporsteigen sieht, während in den noch
    dunklen Gassen die Arbeiter, Handwerker und
    Angestellten bereits zu ihrem Arbeitsplatz
    eilen, oder ob sie durch das nächtliche Viertel
    am Montmartre streift, durch dessen Straßen
    und Boulevards die gleichen Arbeiterheere,
    vom Tagewerk zurückkehrend, ihrem Zuhause
    zustreben oder in den Kneipen verschwinden.
    Gewiß, diese Beschreibungen sind
    Kabinettstückchen der Erzählkunst, und sie
    gehören mit zum Besten, was der moderne
    Roman auf diesem Gebiet aufzuweisen hat,
    denn auch sie sind echt in Atmosphäre und
    Stimmung. Man hört gleichsam das Getrappel
    der Arbeiterbataillone am Morgen und am
    Abend, spürt die Heiterkeit der belustigten
    Straßenpassanten, beim Vorbeiziehen dieser
    seltsamen Hochzeitsgesellschaft, atmet mit
    dem ganzen Viertel den Schnapsdunst, der, die
    Luft verpestend, Vater Colombes Kneipe
    entströmt, bekommt eine Magenverstimmung
    von dem üppigen Geburtstagsschmaus und
    spürt, wie der Brodem aus dem Waschhaus
    aufsteigt. Aber so glänzend, plastisch und
    faszinierend auch all dies dargestellt ist,
    ergreifend wird Zolas Erzählung an jenen
    Stellen, wo er uns Gervaises Unglück
    nahebringen will. Mag das Waschhaus noch so
    exakt beschrieben sein, daß ein geschickter
    Bühnenregisseur es danach Stück um Stück
    aufbauen könnte, mag die Prügelszene noch so
    echt und für manche zeitgenössische Leser
    sogar pikant gezeichnet sein, rührend ist das
    Bild von Gervaise, wie sie, mit ihrer nassen
    Wäsche über der Schulter, die beiden
    verstörten und verschmierten Kinder an ihren
    Röcken, den Wohnungsschlüssel, dieses
    Symbol ihres Unglücks, in der Hand, mit
    verweinten Augen, zerzaust und zerrissen,
    einen Augenblick hilflos und nicht wissend,
    was sie tun soll, dasteht und dann langsam
    nach Hause hinkt oder wie sie, abgestumpft
    und fast vertiert, den Launen Virginies
    preisgegeben, im wahrsten Sinne des Wortes
    zu deren Füßen auf dem Boden liegt und
    schrubbt und wischt und wie sie in all ihrer
    Abgestumpftheit doch aufhorcht, als Nanas
    Name fällt, die ganze Zeit über auf etwas zu
    warten scheint, was nicht kommt, und dann
    schließlich doch nicht länger an sich halten
    kann und Lantier fragt, ob ihm Nana denn
    keinen Gruß für sie aufgetragen habe. Der
    Leser spürt das erwartungsvolle ängstliche
    Zittern in ihrer Stimme und die grenzenlose
    Enttäuschung über Lantiers negative Antwort,
    er spürt, wie dieses Zerreißen der letzten
    menschlichen Bande sie noch eine Stufe tiefer
    hinabstößt auf dem Weg ins Nichts. Und die
    vergebliche nächtliche Jagd auf der Straße, die
    letzte Schande, zu der sie noch nicht gesunken
    war und in die sie von ihrem eigenen Mann
    getrieben wird, das Zusammentreffen mit
    Vater Bru, die letzte Begegnung mit Goujet;
    wie diese beiden durch

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