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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Nur
    legte er sie mit farbigem Holz aus, erfand
    Deckelformen, fügte Fächer ein. Es war zur
    Unterhaltung, eine Art, die Zeit totzuschlagen,
    bis zu seiner Ernennung zum Polizisten. Von
    seinem ehemaligen Kunsttischlerhandwerk
    hatte er nur die Leidenschaft für Kästchen
    behalten. Er verkaufte seine Arbeit nicht, er
    verschenkte sie an seine Bekannten.
    Poisson erhob sich, begrüßte Gervaise höflich,
    die seine Frau ihm als eine alte Freundin
    vorstellte. Aber er war nicht gesprächig, er
    nahm sofort wieder seine kleine Säge zur
    Hand. Lediglich von Zeit zu Zeit warf er einen
    Blick auf die Makrele, die auf dem Rand der
    Kommode lag.
    Gervaise freute sich sehr, ihre frühere
    Wohnung wiederzusehen; sie erzählte, wo die
    Möbel gestanden hatten, und zeigte die Stelle,
    wo sie auf der Erde niedergekommen war. Wie
    sich das doch traf! Als sie sich früher beide
    aus den Augen verloren hatten, hätten sie nie
    geglaubt, sich so wiederzufinden und
    nacheinander dieselbe Stube zu bewohnen.
    Virginie fügte weitere Einzelheiten über sich
    und ihren Mann hinzu: er habe eine kleine
    Erbschaft von einer Tante gemacht; zweifellos
    werde er sie später anlegen; augenblicklich
    beschäftige sie sich weiterhin mit Nähen, sie
    schustere hie und da ein Kleid zusammen.
    Nach einer guten halben Stunde wollte die
    Wäscherin schließlich gehen. Poisson wandte
    sich kaum um. Virginie, die sie
    hinausbegleitete, versprach, ihren Besuch zu
    erwidern; außerdem werde sie ihr ihre
    Kundschaft zukommen lassen, das sei
    abgemacht. Und als sie sie auf dem
    Treppenflur zurückhielt, bildete sich Gervaise
    ein, daß sie mit ihr über Lantier und ihre
    Schwester Adèle, die Poliererin, zu sprechen
    wünschte. Sie war innerlich ganz aufgebracht
    darüber. Aber kein Wort wurde über diese
    verdrießlichen Dinge gewechselt, sie trennten
    sich, indem sie sich mit höchst
    liebenswürdiger Miene auf Wiedersehen
    sagten.
    »Auf Wiedersehen, Madame Coupeau.«
    »Auf Wiedersehen, Madame Poisson.«
    Das war der Ausgangspunkt einer großen
    Freundschaft. Acht Tage später ging Virginie
    nicht mehr an Gervaises Laden vorbei, ohne
    einzutreten; und dort schwatzte sie zwei bis
    drei Stunden lang, so daß Poisson, der besorgt
    war, weil er glaubte, sie sei überfahren
    worden, sie abholen kam mit seinem stummen
    Leichengesicht. Als Gervaise nun die
    Schneiderin so tagtäglich sah, verspürte sie
    bald eine merkwürdige Unruhe: sie konnte sie
    keinen Satz anfangen hören, ohne daß sie
    glaubte, Virginie werde gleich von Lantier
    reden; die ganze Zeit, die Virginie dablieb,
    dachte Gervaise unwiderstehlich an Lantier.
    Das war überaus dumm, denn schließlich pfiff
    sie auf Lantier und auf Adèle und auf das, was
    aus ihnen beiden geworden war; niemals
    stellte sie eine Frage; sie war nicht einmal
    neugierig zu erfahren, wie es ihnen ging. Nein,
    das erfaßte sie außerhalb ihres Willens. Sie
    hatte den Gedanken an sie im Kopf, wie man
    einen auf die Nerven fallenden Kehrreim im
    Munde hat, der einen nicht loslassen will.
    Übrigens hegte sie deswegen keinerlei Groll
    gegen Virginie, deren Schuld es ja bestimmt
    nicht war. Sie war sehr gern mit ihr zusammen
    und hielt sie zehnmal zurück, bevor sie sie
    gehen ließ.
    Inzwischen war der Winter gekommen, der
    vierte Winter, den die Coupeaus in der Rue de
    la Goutte d'Or verbrachten. In diesem Jahr
    waren der Dezember und der Januar besonders
    streng. Es fror Stein und Bein. Nach Neujahr
    blieb der Schnee drei Wochen auf der Straße
    liegen, ohne zu schmelzen. Das behinderte die
    Arbeit nicht, im Gegenteil; denn der Winter ist
    die schöne Jahreszeit der Plätterinnen. Es war
    hübsch angenehm im Laden! Man sah nie
    Eiszapfen an den Fensterscheiben wie beim
    Kaufmann und beim Mützen und
    Strumpfhändler gegenüber. Die mit Koks
    vollgestopfte Maschine sorgte dort für eine
    Badezimmerwärme; die Wäschestücke
    dampften, man hätte meinen können, mitten
    im Sommer zu sein; und man fühlte sich wohl
    bei den geschlossenen Türen, hatte es überall
    warm, so warm, daß man schließlich mit
    offenen Augen hätte schlafen können.
    Gervaise sagte lachend, sie bilde sich ein, auf
    dem Lande zu sein. In der Tat machten die
    Wagen keinen Lärm mehr, wenn sie über den
    Schnee rollten; kaum, daß man das Gestampfe
    der Vorübergehenden hörte; im tiefen
    Schweigen der Kälte stiegen allein
    Kinderstimmen auf, der Krach einer Schar
    Straßenjungen, die längs des Rinnsteins an der
    Hufschmiede eine große

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