Der Todschlaeger
sie würde
wieder anfangen, alles allein zu waschen,
wenn die Wäsche ihr nochmals derartige
Summen aus der Tasche ziehen sollte.
Als Gervaise die zehn Francs und sieben Sous
hatte, bedankte sie sich und machte sich rasch
davon. Und auf dem Treppenflur war ihr wohl,
sie bekam Lust zu tanzen, denn sie gewöhnte
sich bereits an die Widrigkeiten und
Schmutzigkeiten des Geldes und behielt von
diesem Ärger nur das Glück zurück, bis zum
nächsten Mal davongekommen zu sein.
Gerade an diesem Sonnabend hatte Gervaise
eine merkwürdige Begegnung, als sie Goujets
Treppe hinabging. Sie mußte sich mit ihrem
Korb dicht an das Geländer drücken, um eine
große Frau ohne Kopfbedeckung
vorbeizulassen, die heraufkam und die in der
Hand in einem Stückchen Papier eine ganz
frische Makrele mit blutigen Kiemen trug.
Und da erkannte sie Virginie, das Mädchen,
dem sie im Waschhaus die Röcke
hochgehoben hatte. Beide blickten sich direkt
ins Gesicht. Gervaise schloß die Augen, denn
sie glaubte einen Augenblick, sie würde die
Makrele ins Gesicht geworfen bekommen.
Aber nein, Virginie setzte ein dünnes Lächeln
auf. Da wollte sich die Wäscherin, deren Korb
die Treppe versperrte, höflich zeigen. »Ich
bitte um Verzeihung«, sagte sie.
»Ich habe Ihnen alles verziehen«, antwortete
die große Brünette.
Und sie blieben mitten auf den Stufen stehen
und plauderten, sofort ausgesöhnt, ohne eine
einzige Anspielung auf die Vergangenheit
gewagt zu haben. Virginie, jetzt
neunundzwanzig Jahre alt, war eine
prachtvolle, stramme Frau geworden, mit
einem länglichen Gesicht zwischen dem glatt
gescheitelten pechschwarzen Haar. Sie
erzählte sofort ihre Geschichte, um sich
wichtig zu machen: sie sei nun vermählt, sie
habe im Frühjahr einen ehemaligen
Kunsttischlergesellen geheiratet, der aus dem
Militärdienst ausgeschieden und sich um eine
Stelle als Polizist beworben habe, denn eine
feste Anstellung, die sei sicherer und feiner.
Sie habe eben eine Makrele für ihn gekauft.
»Er schwärmt für Makrelen«, sagte sie. »Man
muß sie doch verwöhnen, diese garstigen
Männer, nicht wahr? – Aber kommen Sie doch
herauf. Sie können sich unser Zuhause
ansehen ... Hier, wo wir stehen, zieht's.«
Als Gervaise, nachdem sie ihrerseits von ihrer
Ehe erzählt hatte, ihr mitteilte, daß sie in der
Wohnung gewohnt habe, wo sie sogar mit
einem Mädchen niedergekommen sei, drängte
Virginie sie noch lebhafter, mit
hinaufzukommen. Es bereite immer
Vergnügen, die Stätten wiederzusehen, an
denen man glücklich gewesen sei. Sie habe
fünf Jahre lang auf der anderen Seite der Seine
am GrosCaillou52 gewohnt. Dort habe sie
ihren Mann kennengelernt, als er beim Militär
gewesen sei. Aber sie langweilte sich, sie
träumte davon, ins Viertel La Goutted'Or
zurückzukehren, wo sie alle Welt kenne. Und
seit vierzehn Tagen bewohne sie die Stube
gegenüber von Goujets. Oh, ihre Sachen seien
alle noch sehr in Unordnung; nach und nach
werde sich das schon geben.
Auf dem Treppenabsatz sagten sie sich dann
schließlich ihre Namen.
»Madame Coupeau.«
»Madame Poisson.«
Und von da an nannten sie sich voller
überschwenglicher Höflichkeit Madame
Poisson und Madame Coupeau, einzig und
allein um des Vergnügens willen, Damen zu
sein – sie, die sich früher in wenig ehrbaren
Verhältnissen kennengelernt hatten. Indessen
behielt Gervaise ein geheimes Mißtrauen
zurück. Vielleicht söhnte sich die große
Brünette bloß aus, um sich besser für die
Arschhiebe im Waschhaus rächen zu können,
und heckte irgendeinen Plan aus, den Plan
eines scheinheiligen bösen Tieres. Gervaise
nahm sich vor, auf der Hut zu bleiben. Im
Augenblick zeigte sich Virginie allzu
liebenswürdig, da mußte man eben auch
liebenswürdig sein.
Oben in der Stube saß Poisson, der Ehemann,
ein Mann von fünf unddreißig Jahren mit
erdfahlem Gesicht, rotem Schnurrbart und
rotem Napoleonbart an einem Tisch beim
Fenster und arbeitete. Er machte Kästchen. Als
einziges Handwerkszeug hatte er ein
Taschenmesser, eine Säge, so groß wie eine
Nagelfeile, und einen Leimtopf. Das Holz, das
er verwendete, stammte von alten
Zigarrenkisten, dünne Brettchen aus rohem
Mahagoniholz, an denen er voller Hingebung
Schnitzereien und Verzierungen von
außerordentlicher Feinheit anbrachte. Den
ganzen Tag lang, vom Anfang bis zum Ende
des Jahres machte er immer wieder dieselbe
Schachtel, acht mal sechs Zentimeter.
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