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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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sie würde
    wieder anfangen, alles allein zu waschen,
    wenn die Wäsche ihr nochmals derartige
    Summen aus der Tasche ziehen sollte.
    Als Gervaise die zehn Francs und sieben Sous
    hatte, bedankte sie sich und machte sich rasch
    davon. Und auf dem Treppenflur war ihr wohl,
    sie bekam Lust zu tanzen, denn sie gewöhnte
    sich bereits an die Widrigkeiten und
    Schmutzigkeiten des Geldes und behielt von
    diesem Ärger nur das Glück zurück, bis zum
    nächsten Mal davongekommen zu sein.
    Gerade an diesem Sonnabend hatte Gervaise
    eine merkwürdige Begegnung, als sie Goujets
    Treppe hinabging. Sie mußte sich mit ihrem
    Korb dicht an das Geländer drücken, um eine
    große Frau ohne Kopfbedeckung
    vorbeizulassen, die heraufkam und die in der
    Hand in einem Stückchen Papier eine ganz
    frische Makrele mit blutigen Kiemen trug.
    Und da erkannte sie Virginie, das Mädchen,
    dem sie im Waschhaus die Röcke
    hochgehoben hatte. Beide blickten sich direkt
    ins Gesicht. Gervaise schloß die Augen, denn
    sie glaubte einen Augenblick, sie würde die
    Makrele ins Gesicht geworfen bekommen.
    Aber nein, Virginie setzte ein dünnes Lächeln
    auf. Da wollte sich die Wäscherin, deren Korb
    die Treppe versperrte, höflich zeigen. »Ich
    bitte um Verzeihung«, sagte sie.
    »Ich habe Ihnen alles verziehen«, antwortete
    die große Brünette.
    Und sie blieben mitten auf den Stufen stehen
    und plauderten, sofort ausgesöhnt, ohne eine
    einzige Anspielung auf die Vergangenheit
    gewagt zu haben. Virginie, jetzt
    neunundzwanzig Jahre alt, war eine
    prachtvolle, stramme Frau geworden, mit
    einem länglichen Gesicht zwischen dem glatt
    gescheitelten pechschwarzen Haar. Sie
    erzählte sofort ihre Geschichte, um sich
    wichtig zu machen: sie sei nun vermählt, sie
    habe im Frühjahr einen ehemaligen
    Kunsttischlergesellen geheiratet, der aus dem
    Militärdienst ausgeschieden und sich um eine
    Stelle als Polizist beworben habe, denn eine
    feste Anstellung, die sei sicherer und feiner.
    Sie habe eben eine Makrele für ihn gekauft.
    »Er schwärmt für Makrelen«, sagte sie. »Man
    muß sie doch verwöhnen, diese garstigen
    Männer, nicht wahr? – Aber kommen Sie doch
    herauf. Sie können sich unser Zuhause

ansehen ... Hier, wo wir stehen, zieht's.«
    Als Gervaise, nachdem sie ihrerseits von ihrer
    Ehe erzählt hatte, ihr mitteilte, daß sie in der
    Wohnung gewohnt habe, wo sie sogar mit
    einem Mädchen niedergekommen sei, drängte
    Virginie sie noch lebhafter, mit
    hinaufzukommen. Es bereite immer
    Vergnügen, die Stätten wiederzusehen, an
    denen man glücklich gewesen sei. Sie habe
    fünf Jahre lang auf der anderen Seite der Seine
    am GrosCaillou52 gewohnt. Dort habe sie
    ihren Mann kennengelernt, als er beim Militär
    gewesen sei. Aber sie langweilte sich, sie
    träumte davon, ins Viertel La Goutted'Or
    zurückzukehren, wo sie alle Welt kenne. Und
    seit vierzehn Tagen bewohne sie die Stube
    gegenüber von Goujets. Oh, ihre Sachen seien
    alle noch sehr in Unordnung; nach und nach
    werde sich das schon geben.
    Auf dem Treppenabsatz sagten sie sich dann
    schließlich ihre Namen.
    »Madame Coupeau.«
    »Madame Poisson.«
    Und von da an nannten sie sich voller
    überschwenglicher Höflichkeit Madame
    Poisson und Madame Coupeau, einzig und
    allein um des Vergnügens willen, Damen zu
    sein – sie, die sich früher in wenig ehrbaren
    Verhältnissen kennengelernt hatten. Indessen
    behielt Gervaise ein geheimes Mißtrauen
    zurück. Vielleicht söhnte sich die große
    Brünette bloß aus, um sich besser für die
    Arschhiebe im Waschhaus rächen zu können,
    und heckte irgendeinen Plan aus, den Plan
    eines scheinheiligen bösen Tieres. Gervaise
    nahm sich vor, auf der Hut zu bleiben. Im
    Augenblick zeigte sich Virginie allzu
    liebenswürdig, da mußte man eben auch
    liebenswürdig sein.
    Oben in der Stube saß Poisson, der Ehemann,
    ein Mann von fünf unddreißig Jahren mit
    erdfahlem Gesicht, rotem Schnurrbart und
    rotem Napoleonbart an einem Tisch beim
    Fenster und arbeitete. Er machte Kästchen. Als
    einziges Handwerkszeug hatte er ein
    Taschenmesser, eine Säge, so groß wie eine
    Nagelfeile, und einen Leimtopf. Das Holz, das
    er verwendete, stammte von alten
    Zigarrenkisten, dünne Brettchen aus rohem
    Mahagoniholz, an denen er voller Hingebung
    Schnitzereien und Verzierungen von
    außerordentlicher Feinheit anbrachte. Den
    ganzen Tag lang, vom Anfang bis zum Ende
    des Jahres machte er immer wieder dieselbe
    Schachtel, acht mal sechs Zentimeter.

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