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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Schlitterbahn
    angelegt hatten. Zuweilen ging Gervaise zu
    einer der Fensterscheiben an der Tür, wischte
    mit der Hand das beschlagene Glas ab, schaute
    nach, was das Viertel bei dieser verdammten
    Temperatur trieb; aber aus den Nachbarläden
    wurde nicht eine Nase herausgestreckt, das in
    Schnee eingemummelte Viertel schien es sich
    mit krummem Buckel wohl sein zu lassen, und
    sie tauschte nur ein leichtes Kopfnicken mit
    der Kohlenhändlerin von nebenan, die mit
    bloßem Kopf und von einem Ohr bis zum
    anderen aufgerissenem Mund herumspazierte,
    seitdem es so stark fror.
    Besonders gut tat es bei diesem Hundewetter,
    mittags seinen recht heißen Kaffee zu trinken.
    Die Arbeiterinnen brauchten sich nicht zu
    beklagen; die Meisterin machte ihn sehr stark
    und tat keine vier Körnchen Zichorie hinein; er
    hatte kaum Ähnlichkeit mit Frau Fauconniers
    Kaffee, der richtiges Abwaschwasser war. Nur
    wenn Mama Coupeau das Aufgießen
    übernahm, fand das kein Ende mehr, weil sie
    vor dem Wasserkessel einschlief. Dann
    warteten die Arbeiterinnen nach dem
    Mittagessen auf den Kaffee und bügelten ein
    wenig.
    Gerade am Tage nach dem Dreikönigsfest
    schlug es halb eins, als der Kaffee noch nicht
    fertig war. An diesem Tage wollte und wollte
    er nicht durchlaufen. Mama Coupeau klopfte
    mit einem Teelöffel auf dem Filter herum, und
    man hörte, wie die Tropfen einer nach dem
    anderen langsam hinabfielen, ohne sich mehr
    zu beeilen.
    »Lassen Sie ihn doch«, sagte die lange
    Clémence. »Davon wird er trübe ... Da gibt's ja
    heute bestimmt den Kaffeegrund auch noch
    dazu.«
    Die lange Clémence richtete ein Männerhemd
    neu her, dessen Falten sie mit der Spitze des
    Fingernagels hervorhob. Sie hatte eine
    fürchterliche Erkältung, verquollene Augen,
    die Kehle aufgerissen von heftigen
    Hustenanfällen, bei denen sie sich an der
    Tischkante zusammenkrümmte. Dabei trug sie
    nicht einmal ein seidenes Tuch um den Hals,
    hatte ein billiges Wollkleid zu achtzehn Sous
    an, in dem sie bibberte. Neben ihr bügelte Frau
    Putois, in Flanell gehüllt und bis zu den Ohren
    ausgepolstert, einen Unterrock, den sie um das
    Bügelbrett drehte, dessen kleines Ende auf der
    Lehne eines Stuhles lag; auf der Erde
    verhinderte ein hingeworfenes Laken, daß der
    Unterrock schmutzig wurde, wenn er den
    Fliesenfußboden streifte. Die Hälfte des
    Arbeitstisches nahm Gervaise allein mit
    gestickten Musselingardinen ein, über die sie
    ihr Eisen mit ausgestreckten Armen ganz
    gerade führte, um falsche Falten zu vermeiden.
    Mit einemmal ließ der Kaffee, der
    geräuschvoll abzufließen begann, sie den Kopf
    heben. Augustine, diese Schielliese, hatte
    soeben mitten in den Kaffeesatz ein Loch
    gemacht, indem sie einen Löffel in den Filter
    hineingestoßen hatte.
    »Willst du dich wohl ruhig verhalten!« rief
    Gervaise. »Was ist denn bloß in dich
    gefahren? Nun werden wir Schlamm trinken.«
    Mama Coupeau hatte auf einer freien Ecke des
    Arbeitstisches fünf Gläser nebeneinander
    hingestellt. Da ließen die Arbeiterinnen von
    ihrer Arbeit ab. Die Meisterin goß den Kaffee
    stets selber ein, nachdem sie in jedes Glas
    zwei Stückchen Zucker getan hatte. Das war
    die ersehnte Stunde des Arbeitstages. Als an
    diesem Tage jede ihr Glas nahm und sich auf
    eine Fußbank vor der Maschine niederhockte,
    öffnete sich die Tür zur Straße, durch und
    durch fröstelnd trat Virginie ein.
    »Ah, Kinder«, sagte sie, »das schneidet einen
    ja entzwei! Ich fühle meine Ohren nicht mehr.
    So eine gemeine Kälte!«
    »Sieh da, das ist ja Madame Poisson!« rief
    Gervaise aus. »Oh, Sie kommen gerade
    recht ... Sie können mit uns Kaffee trinken.«
    »Du meine Güte, da sage ich nicht nein – Man
    braucht bloß über die Straße zu gehen, und
    schon sitzt einem der Winter in den Knochen.«
    Zum Glück war noch Kaffee übrig. Mama
    Coupeau holte ein sechstes Glas, und aus
    Höflichkeit ließ Gervaise Virginie selbst
    Zucker nehmen. Die Arbeiterinnen rückten
    beiseite, machten ihr an der Maschine ein
    bißchen Platz. Einen Augenblick bibberte sie
    mit roter Nase und preßte ihre steif
    gewordenen Hände um ihr Glas, um sich
    aufzuwärmen. Sie kam vom Kaufmann, wo
    man gefror, wenn man bloß auf ein Viertel
    Schweizer Käse wartete. Und sie brach über
    die große Hitze im Laden in Verwunderung
    aus: wirklich, man hätte meinen können, in
    einen Backofen zu kommen, das hätte genügt,
    um einen Toten aufzuwecken, so angenehm
    kitzele einem das die Haut. Wieder

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