Der Torwächter Bd. 1 - Der Torwächter
wäre?«
»Hätte ich deine Mutter mitgenommen.«
Simon musste lachen, die Vorstellung war witzig.
Sie erreichten die Straße. Ira holte ein Tri-Board unter einem Busch hervor, sie hatte es bei ihrer Ankunft dort versteckt. Mit einer schnellen Bewegung warf sie es auf den Asphalt. Das Board war groß und leicht, und es federte, als Ira draufsprang.
»Und was ist mit deinem Bein?« Simon war skeptisch.
Ira winkte lässig ab. »Ist wieder in Ordnung. Es ziept nur noch ein bisschen.« Langsam glitt sie davon, die Rollen ihres Tri-Boards hatten sich zu drehen begonnen. Die Straße neigte sich an diesem Punkt und führte den Hügel hinab. Das Brett wurde schneller.
»Los, komm.« Ira wies auf den Platz hinter sich. »Spring auf.«
Simon zögerte, doch dann nahm er sich ein Herz. Er rannte ihr nach und sprang hinter ihr auf das Rollbrett.
»Halt dich fest!«
Simon schlang seine Arme um sie. Ira beugte sich vor, und er mir ihr. Er spürte ihren Körper an dem seinen. Für einen Augenblick kam ihm das komisch vor, hier hinter ihr zu stehen und sie zu halten. Doch je schneller das Board wurde, je lauter der Fahrtwind in seinen Ohren pfiff, desto mehr verdrängte das Gefühl der Geschwindigkeit seine Unsicherheit, und er schmiegte sich an sie und genoss die rasende Fahrt.
Bald hatten sie das Dorf erreicht. Nach den letzten Kurven, die sie in halsbrecherischem Tempo durchfuhren, schossen sie an den ersten Häusern vorbei. Ira drosselte das Tempo und steuerte das Board durch die Gassen. Simon kannte die Strecke, es war der Weg, den er zum Einkaufen nahm. Als sie in die Straße einbogen, in der sich der kleine Supermarkt befand, begriff Simon, dass der Laden tatsächlich ihr Ziel war. Ein Lieferwagen stand vor dem Eingang.
Simon zuckte zusammen. »Ach du Scheiße!« Eilig versteckte er sich hinter Iras Rücken.
»Was ist denn los?«
»Die Frau da vor dem Laden, kennst du die?« Simon spähte vorsichtig über Iras Schultern.
»Klar kenn ich die. Das ist Filippos Tante.«
Simon ächzte: Es war die Kassiererin! Bei jedem seiner Besuche in dem Laden war es ihr eine Freude gewesen, ihm dieHaare zu verwuscheln und furchtbar unangenehme Dinge zu sagen. Und es wäre höchst peinlich, wenn sie das jetzt vor Ira und den anderen tun würde.
»Halt an! Bitte.«
»Wieso? Die beißt schon nicht.«
»Hast du eine Ahnung!«
Ira warf ihm einen erstaunten Blick zu. Doch es war zu spät für weitere Erklärungen: Sie hatten den Laden erreicht. Noch während das Brett ausrollte, sprang Simon ab und verbarg sich hinter dem Lieferwagen. Ira gelang es gerade noch, das Gleichgewicht zu halten. Dabei verzog sie ihr Gesicht, ihr Bein schmerzte offenbar immer noch.
Simon hatte Glück: Abgelenkt von der Einkaufsliste in ihrer Hand, hatte Filippos Tante ihn nicht bemerkt. Sie begrüßte Ira und schickte sie in den Laden, in dem sie eine Kanne mit heißem Kakao bereitgestellt hatte. Filippo, Tomas und Luc waren schon da und wärmten ihre Finger an den dampfenden Bechern.
Simon kämpfte mit sich. Der Kakao duftete verführerisch. Aber die Vorstellung, sich für alle Zeiten vor seinen neuen Freunden zu blamieren, war nicht wirklich prickelnd. Besser, er verzichtete.
»Sind alle da?« Suchend schaute sich die Kassiererin um.
Filippo wollte antworten, doch Ira war schneller. »Ja, wir sind komplett.«
Erstaunt sah Filippo zu Ira. »Aber …«
Ira schüttelte unmerklich den Kopf. Filippo schloss seinen Mund wieder.
Seine Tante jedoch widersprach ungehalten. »Von wegen komplett! Einer fehlt.«
Simon zuckte zusammen, als er das hörte.
Doch Filippos Tante kam nicht zu ihm heraus, sondern ging stattdessen zu einer Tür im hinteren Teil des Ladens, um sie aufzureißen und in das Haus hineinzurufen: »Marcel!«
Kurze Zeit später wankte ein verschlafener Mann in den Supermarkt. Er war klein und dick, und seine Augen sahen so aus, als wäre er lieber im Bett geblieben. Filippos Onkel bekam von seiner Frau einen Kaffee, ein Butterbrot und die Einkaufsliste in die Hand gedrückt. »Auf, du musst los. Sonst bist du nicht zurück, wenn ich den Laden aufmache.«
Filippos Onkel grunzte eine unverständliche Antwort, dann ging er hinaus zum Lieferwagen.
»Danke für den Kakao.« Luc lächelte schüchtern.
Auch die Kassiererin lächelte und wuschelte ein wenig in seinen Haaren. Luc schien das nichts auszumachen.
Filippos Onkel hatte inzwischen seinen Kaffeebecher in eine Halterung am Armaturenbrett geklemmt und war hinter das Lenkrad
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