Der Torwächter Bd. 1 - Der Torwächter
spüren.
Am Stadtrand verließen sie die Autobahn, kurz danach stoppte der Lieferwagen an dem leuchtenden Schild einer U-Bahn-Station. Filippos Onkel drehte sich zu ihnen um. »Ich bin gleich an meinem Ziel, der Großmarkt ist dahinten. Weiter kann ich euch nicht mitnehmen.« Erstaunt entdeckte er Simon zwischen den anderen. »Wer bist du denn? Ach, ist auch egal. Viel Spaß in der Stadt.« Er wartete, bis alle ausgestiegen waren, dann winkte er ihnen noch einmal zu, bevor er mit dem Lieferwagen davonfuhr.
»Seid ihr so weit?« Ira blickte in die Runde.
Die anderen nickten wortlos und warteten, ob sie noch etwas sagen würde, selbst Tomas. Obwohl er älter war als alle anderen, schien er Ira als Wortführerin zu akzeptieren.
»Dann los, gehen wir.« Sie wandte sich der Treppe zu, die zur U-Bahn führte.
Noch einmal sah Simon zurück. Alles war normal, kein Rucken, kein weißer Schatten. Nichts war ungewöhnlich.
Ira drehte sich zu ihm um. »Kommst du?«
Simon nickte.
Gemeinsam stiegen sie hinab in die Unterwelt der Stadt.
19
Die Treppe hinunter in die Tiefe war lang und steil. Müll lag auf den Stufen und der Wind wehte Plastiktüten die Schräge hinab. Trotz der frühen Uhrzeit waren schon viele Menschen unterwegs, zumeist müde aussehende Männer und Frauen in grober Kleidung und mit Händen, denen man die geleistete Arbeit ansah. Ihr Ziel war das Stadtzentrum mit seinen Hochhaustürmen. Tomas erzählte, dass alle, die so früh mit der U-Bahn in die City fuhren, hinter den Kulissen der Stadt arbeiteten. Sie sorgten dafür, dass in den Bürohochhäusern und den Einkaufspassagen, auf den Straßen und den Plätzen alles funktionierte. Die Büromenschen in ihren Anzügen oder Business-Kostümen kamen erst später: wenn die Gehwege, die Grünanlagen, die Mülleimer sauber glänzten, wenn die Fahrstühle fuhren und die Klimaanlagen kühlten, wenn die Häuser gereinigt und die Schreibtische abgewischt worden waren und helfende Hände die Post sortiert, die Zeitungen gebracht, den Kaffee gekocht hatten.
Sie erreichten das Ende der Treppe und folgten einem Gang. Eine zweite Treppe mündete in den Tunnel, dann eine dritte, der Gang wurde breiter. Immer mehr Menschen strömten ihrem Ziel entgegen. Simon war erstaunt, er hatte nicht gewusst,wie viele Menschen im Verborgenen der Stadt arbeiteten. Schließlich erreichten sie den U-Bahnhof. Er war laut und voll und er kam Simon riesig vor. Die anderen lachten, er solle erst mal den Bahnhof im Stadtzentrum sehen, dann wisse er, was wirklich riesig sei.
Sie brauchten nicht lange zu warten. Kurz nachdem sie den Bahnsteig betreten hatten, fuhr eine U-Bahn ein, die Züge kamen alle paar Minuten. Filippo quetschte sich durch den Spalt, kaum dass sich eine der Türen vor ihnen geöffnet hatte, und verteidigte einige Sitzplätze gegen die hereinströmenden Pendler. Sie setzten sich, wenig später fuhr der Zug an.
»Also«, ergriff Ira das Wort, »was habt ihr herausgefunden?« Sie blickte fragend in die Runde.
Luc fing an. Er berichtete, dass der Tower erst vor einigen Jahren gebaut worden war. Ursprünglich hatten in der Mitte der Stadt mehrere kleinere Hochhäuser gestanden, doch ein geheimnisvoller Investor hatte die Grundstücke gekauft und die Häuser abreißen lassen, um Platz für den goldenen Turm zu schaffen.
Ira nickte bestätigend, sie hatte das Gleiche erfahren.
Luc ergänzte, dass niemand wusste, wer in dem Tower arbeitete. »Ich hab meinen Vater gefragt. Er ist bei der Stadtverwaltung. Selbst da weiß es keiner. Die zahlen keine Steuern, brauchen kein Wasser, keinen Strom …«
»Das stimmt nicht«, unterbrach Filippo ihn.
»Woher willst du das denn wissen?«
»Von meinem Onkel!« Filippo war sichtlich stolz, auch etwas beitragen zu können. »Während die den Turm gebauthaben, ist im Großmarkt andauernd der Strom ausgefallen. Wegen der Baumaschinen. Und als der Turm fertig war, ist es noch viel schlimmer geworden. Immer wieder ist das Stromnetz zusammengebrochen.« Irgendwann, ergänzte er, sei wieder alles normal gewesen. Sein Onkel habe gemeint, dass der Turm ein eigenes Kraftwerk bekommen hätte.
»Krass.« Simon hatte gespannt zugehört. »Und weiter?«
»Nichts weiter.« Filippo hatte berichtet, was er wusste.
Ira zog bedauernd die Schultern hoch. »Mehr hab ich auch nicht rausgekriegt.«
»Aber ich weiß noch was.« Tomas meldete sich zu Wort. »Sie bekommen Zucker.«
Alle drehten ihren Kopf zu ihm. »Zucker?«
»Ja. Hat mein Vater
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